Verzweifelt, traurig, ängstlich

  • Hallo,
    Ich bin Celly, 30 Jahre alt.
    Ich bin verzweifelt. Mein Vater trinkt schon sehr lange. Ich kann gar nicht sagen wie lange es ist.. früher hatte er aber sein Leben noch unter Kontrolle...hat "nur" seine 2-3 Feierabend-biere getrunken und konnte zur Arbeit, hat den Garten gemacht, hat sich um seine 4 Kinder gekümmert und hat den Haushalt gemeistert...zu dieser Zeit war meine Mutter die Kranke Person im Haus..die ständig betrunken am PC saß oder vor dem TV lag. Damals haben mein Bruder und ich meinen Vater schon viel unterstützt.
    Als ich 16 war haben meine Eltern sich dann getrennt. Wir Kinder sind alle bei unserem Das geblieben. (freiwillig)
    Mein Vater trinkt nun schätzungsweise 3 Flaschen Wein am Tag..er hat sein Leben absolut nicht mehr unter Kontrolle..er geht seit über 3 Jahren nicht mehr arbeiten...(er hatte damals einen Tumor an der Lunge der ihm entfernt wurde) nun kann er sämtliche Rechnungen oft nicht zahlen und vernachlässigt sein Haus..seine Familie einfach alles. Es ist so schlimm geworden, dass ich einfach nicht mehr weiter weiß. Er war immer mein Vorbild..ich war schon immer ein Vater Kind..aber sämtliche Gespräche helfen einfach nicht. Er sieht nicht ein das er Alkohol krank ist und sagt dann Sätze wie "ich sterbe eh bald".
    Ich bin echt sehr verzeifelt. LG Celly

  • Hallo Celly

    Willkommen im Forum!

    Es ist gut dass du den Austausch suchst. Deine Verzweiflung liest sich aus deinen Zeilen, das ging mir irgendwie nahe...Ich bin Alkoholikerin, lebe inzwischen ohne Alkohol, aber also von der „trinkenden“Seite.

    Es sind hier einige Erwachsene Kinder von Alkoholikern im Forum unterwegs, sie können dir besser Antworten und ihre eigenen Erfahrungen mit dir teilen.

    Ich wollte dich nur kurz empfangen und dich ermuntern Hilfe für dich zu suchen, ich kann mir gut vorstellen wie sehr du unter dieser Situation leidest. Als Alkoholikerin weiss ich aber auch, das nichts, aber wirklich gar nichts den Süchtigen zum Aufhören bringen kann, wenn er das selbst nicht will. Du kannst das nicht beeinflussen und ihn weder zwingen noch ihm gut zureden...das ist ernüchternd, ich weiss.

    Du kannst etwas für dich tun, dir zum Beispiel eine Angehörigengruppe suchen, dich hier austauschen und deinen Frust abladen, vielleicht einen Suchtberater aufsuchen der dich aufklären kann etc...Du hast nur dein Leben in der Hand. Bei mir war es auch so...erst als ich selbst bereit war konnte ich mir Hilfe suchen. Alle Liebe zu meinen Kindern hat das nicht erreicht obwohl ich schon lange auf dem sinkenden Schiff war.

    Ich wünsche dir viel Kraft und hoffe du findest einen Weg zu dir Sorge zu tragen.

    Lg
    Rina

  • Hallo,

    nur mal kurz:
    Mein Vater hat sich auch tot getrunken.
    Ich bin Einzelkind, habe selbst gesoffen, und kenne beide Seiten.
    Und ich habe nicht bei ihm gelebt, das wäre auch völlig unmöglich gewesen.

    So wie Du das schreibst, ist typisch.

    Du kannst gar nichts machen, damit er aufhört.
    Und für ihn ist es wahrscheinlich zu spät, das hätte er sich vor langer Zeit überlegen müssen, dass er da was ändern müsste.
    Dazu müsste er das aber erst mal wollen, aber er will trinken. Er muss ja auch trinken, das kann er ja gar nicht so einfach lassen.

    Es ist Tatsache, Du stellst Dich am Besten darauf ein, dass er tatsächlich daran stirbt.
    Er kann Dir nicht das geben, was Du brauchst. Weil es es nämlich selbst nicht hat.

    Sorge für Dich selbst, er wird nicht mehr für Dich sorgen.
    Und Du kannst für ihn auch nicht mehr viel tun.
    Ausser ein bisschen anwesend sein, aber nur, wenn Du das auch wirklich kannst und es Dich nicht nur fertig macht.

    Lies Dich mal durch diesen Beitrag hier durch:

    https://alkoholforum.de//index.php?topic=1800.0

    da ist alles Wesentliche gesagt.

    Viel Glück und Gruß
    Susanne

  • Hallo Celly,

    herzlich Willkommen bei uns im Forum, auch wenn der Grund weshalb Du hier bist kein schöner ist. Aber so ist es leider bei fast allen, die hier ankommen und ich möchte Dir einfach nur sagen, dass Du hier auf Menschen triffst, die Deine Situation kennen und die sich in Deine Lage, Deine Gefühlswelt hinein versetzen können.

    Ich selbst bin Anfang 50, Alkoholiker und Papa von drei Kindern. Ich trinke jetzt schon lange keinen Alkohol mehr, habe glücklicherweise irgendwann den Absprung geschafft und darf jetzt ein wunderbares Leben leben. Vorher trank ich weit über 10 Jahre abhängig, die meiste Zeit davon komplett heimlich, ich verheimlichte es also auch vor meiner Familie. Was mir zwar "ganz gut" gelang, jedoch nicht verhinderte, dass meine Ehe darüber kaputt ging.

    Ich will Dir einfach nur ein paar Gedanken von mir da lassen:

    Was Du über Deinen Papa schreibst, das klingt in meinen Ohren alles ganz typisch. Du beschreibst das Verhalten eines "ganz normalen" Alkoholikers, auch wenn es den normalen Alkoholiker so nicht gibt, da wir alle individuelle Menschen sind, mit individuellen Lebensgeschichten. Aber die Muster gleichen sich, bis hin zur Aussage "ich sterbe eh bald". Ich habe das nicht gesagt, weil ich ja heimlich trank, aber ich habe es mir in meinen letzten Jahren, welche natürlich die schlimmsten waren, oft gedacht. Mit dem Zusatz: "dann ist es halt so, ist auch egal". Ich hatte keine Kraft mehr (und vielleicht auch keine Lust mehr) gegen die Sucht zu kämpfen, denn mir erschien die ganze Situation schlichtweg ausweglos und auch sinnlos. Und das, obwohl damals eines meiner Kinder, meine Tochter, gerade im Grundschulalter war, ich sie über alles liebte (tue ich natürlich immer noch) und ich trotz meiner Sucht ein intensivstes Papa-Tochter-Verhältnis zu ihr hatte. Nicht mal die Liebe zu meinen Kindern, und ich bin davon überzeugt das es nichts stärkeres gibt, konnte mich vom Alkohol weg bringen. Das ist echt hart....

    Das kann man sich als Außenstehende, ohne eigenen Suchterfahrung, wahrscheinlich gar nicht vorstellen. Nein das kann man nicht, ich denke mir heute ja sogar selbst manchmal, wie surreal ich meine Welt damals eigentlich wahr genommen habe. Aber das ist eben auch ein Merkmal dieser Sucht. Denn sie verändert ja nicht "nur" die körperliche Verfassung negativ sondern sie verändert das ganze Wesen, die Psyche, nachhaltig. Natürlich negativ. Und es ist leider den wenigsten Alkoholikern "vergönnt", da wieder heraus zu kommmen. Die meisten sterben tatsächlich mit oder an dieser Krankheit (eine Formulierung, die seit Corona sehr populär ist aber ich kann es auch nicht anders schreiben). Noch schlimmer: ganz wenige versuchen es überhaupt, von dieser Krankheit wieder weg zu kommen.

    Und genau das erlebst Du gerade oder besser schon seit vielen Jahren bei Deinem Papa. Und dass das immer schlimmer wird ist der natürliche Verlauf dieser Krankheit... leider ist das so. Du hast es ja bereits von anderen geschrieben bekommen und Du kannst es hier im Angehörigen-Bereich ganz viel nachlesen: Es liegt nicht in Deiner Macht, Deinen Papa von dieser Sucht zu befreien. Das will einem nicht ins Hirn, ich weiß. Er müsste ja nur bereit sein sich helfen zu lassen, er müsste ja nur wollen und sicher stündest Du an seiner Seite und würdest unterstützen wo Du könntest. Trotzdem will er nicht... oder er kann nicht....

    Das ist diese Sucht. So mächtig, so hinterhältig, so unglaublich heimtückisch.

    Dir als Angehörige, als Tochter eines alkoholkranken Papas, Dir bleibt nichts anderes, als das zu akzeptieren. Denn ich denke, verstehen wirst Du es nicht können, das fällt selbst mir als jemanden der das alles selbst erlebt hat, manchmal verdammt schwer.

    Du kannst jetzt also nur für Dich sorgen. Dich um Dein Leben und um Dein Wohlbefinden kümmern. Damit lässt Du Deinen Papa NICHT im Stich, das ist ganz wichtig. Es ist einfach so, dass nur ER ALLEIN etwas gegen seine Sucht unternehmen kann oder könnte. Er müsste sagen: ich will weg, alles andere hat keinen Sinn. Du hast sicher alles getan, was Du tun konntest. Mit ihm gesprochen, Deine Sorgen geteilt, Deine Hilfe angeboten, etc. Das hast Du sicher gemacht, das lese ich aus Deinen Zeilen heraus. Mehr geht nicht und es macht auch keinen Sinn, das in Dauerschleife zu tun.

    Es ist leider nicht selten so, dass die Sucht nicht nur das Leben des Alkoholikers selbst kaputt macht sondern auch das der Angehörigen, oft der ganzen Familie. Weil diese oft über viele Jahre, manchmal Jahrzehnte, versuchen den Betroffen zu retten, ihn zum "Einlenken" bewegen wollen oder auch aus falschen Pflichtbewusstsein indirekt seine Sucht "unterstützen". Wenn Du Dich noch nicht mit dem Thema Co-Abhängigkeit beschäftigt hast, dann wäre es sicher gut, wenn Du Dich da mal einliest. Du kannst dann selbst entscheiden, in wieweit Du davon vielleicht betroffen bist oder auch nicht.

    In Liebe los lassen.... Dein eigenes Wohlbefinden an erste Stelle stellen..... Dich, Dein Leben und Deine Wünsche in den Fokus rücken, Dich selbst als den wichtigsten Menschen in Deinem Leben betrachten. Was auf den ersten Blick sehr egoistisch erscheint ist in wirklich nichts anderes als Selbstliebe im positiven Sinn. Achtsamkeit gegenüber Dir selbst, Verantwortung für DEIN Leben übernehmen, wie Dein Papa die Verantwortung für SEIN Leben übernehmen muss. Er entscheidet über sein Leben, Du über Deines.

    Das waren die Gedanken, die ich mit Dir teilen möchte. Ich weiß, ich rede mich leicht. Aber glaube mir, ich schreibe mich nicht leicht. Was ich Dir geschrieben habe basiert auf meinen eigenen Erfahrungen und ich kann (und will) Dir deshalb auch nichts anderes, nichts "gefälligeres" schreiben. Ich wünsche Dir ganz ganz viel Kraft und dass Du Deinen Weg im Umgang mit der Krankheit Deines Papas finden kannst.

    LG
    gerchla

  • Vielen Dank für deine Nachricht, mir kommen die Tränen beim lesen!
    Ich weiß selbst, dass ich nichts tun kann und dennoch kann ich es trotzdem nicht verstehen. Es will nicht in meinen Kopf rein.
    Ich bin die starke, die hilfsbereite, die Kämpferin... Und trotzdem so Machtlos und erfolgslos was diese Sache angeht.
    Wenn ich eure Nachrichten lese oder auch andere Beiträge klingt alles so logisch, ich stimme bei allem zu. Aber es ist so verdammt schwer für mich, nichts tun zu können.
    Ich war immer ein Papa-Kind und er war Jahre lang mein Vorbild. Nun erkenne ich ihn nicht mehr wieder...
    Es ist alles so verdammt schwer.

  • Hallo liebe Celly,

    ich kann aktuell leider nur wenig tippen, möchte Dir aber sehr gern als
    Tochter aus alkoholgeprägter Familie etwas zu Deiner Lage dalassen.
    Erstmal mein tiefes Mitgefühl mit der Machtlosigkeit, die Du erlebst.
    (Und die in Bezug auf die Sucht tatsächlich gegeben ist.)

    Ich habe an anderer Stelle zu meiner eigenen Erfahrung mit dem
    Ringen um "Helfen wollen" und der Einsicht, von außen nichts für
    jemanden bewegen zu können, geteilt. Falls Du lesen magst:
    https://alkoholforum.de//index.php?top…g29173#msg29173

    Als erste Anlaufstelle zum Sortieren meiner eigenen Verwirrung
    und Benommenheit im Umgang mit der Sucht meiner Eltern half
    mir Al-Anon. Nicht ICH bin Elternteil meiner Eltern, sondern SIE
    tragen Verantwortung für ihr Leben. Das half mir etwas gegen die
    Schuldgefühle, immer wenn ich eigentlich nur weg wollte.
    Und: Sucht ist eine Krankheit. Sie sagt nichts über MEINEN Wert.
    (Emotionale Unnahbarkeit des Süchtigen gehört zu seiner Krankheit.)
    https://al-anon.de/fuer-neue/fami…ufgewachsen-in/

    Mit fortschreitender inneren Arbeit (Therapie, Selbsthilfegruppen)
    kam ich dann irgendwann beim Erkennen meiner eigenen Seelen-
    löcher heraus, incl. der Verdrehungen in den Familienrollen, und
    dem beachtlichen Teil NICHT gelernter Berechtigung für meine
    EIGENEN Gefühle, Bedürfnisse etc., einfach weil dafür in meinem
    Elternhaus die Ansprache fehlte. Das war der härteste Aufschlag
    hinter allem Helfer-Sog. Zu begreifen, dass ich meine eigene Leere
    immer umschifft bin in der unbewussten Suche nach Sicherheit
    und Lösung, indem ich meine Eltern repariere (doch noch Wärme
    und Liebe) bekomme.
    https://erwachsenekinder.org/neubeelterung-innere-kind-arbeit/

    Was mich an Deiner Situation sehr berührt, ist, dass die Beziehung
    zu Deinem Vater emotional auch vorhanden war. Und dass Du jetzt
    mit soviel Verlust (suchtbedingt) an emotionaler Nähe umzugehen
    hast. Das schmerzt ja ganz anders, als wenn etwas nie da war.

    Gerade in EKS (Erw. Kinder aus Suchtkr. Familien) / ACA fand ich
    aber sehr einladende und achtsam geschriebene Texte zu meinen
    eigenen mitgebrachten Mustern. Stärke zeigen, überdurchschnittlich
    belastbar sein (wollen) etc., können in diese Ecke gehören, wenn es
    dazu diente, die geliebten Elternteil nicht machtlos (dann trinkend?)
    zu erleben. Kinder puffern viel ab, um ihre Eltern zu "erhalten". Für
    mich war der Ansatz, in meinem eigenen Innern einen Raum zur
    eigenen Sicht auf meine Bedürfnisse und Gefühle zu schaffen, sehr
    sehr wichtig. Sonst hätte ich weiterhin den Mangel an Wärme und
    Halt dort im Außen reparieren wollen: Indem ich mir andere Menschen
    "sichere", indem ich sie mehr entlaste als mich selbst, sie schone
    statt klar meine Belange mitzuteilen. (Geht in Suchtfamilien unter.)

    Diese Gedanken möchte ich Dir ergänzend zu denen der anderen
    Beiträge gern hier lassen. Ich lese auch weiterhin mit, kann Dir
    bei Bedarf auch gern noch den ein oder anderen Link hier setzen.

    Alles Liebe und Gute für jetzt, und ganz viel Kraft zum Annehmen
    Deiner Situation und vor allem Deiner eigenen Gefühle.

    Ändern lässt sich alles, was mit Deinem Umgang mit Dir selbst zu
    tun hat. Selbst-Fürsorge, sich nicht fürs "Versagen" gegen die Sucht
    fertig machen, eigene Gefühle und den Schmerz mit jemandem
    besprechen, ... das sind alles kleine Schritte, um den enormen
    Druck langsam zu zerlegen in eigene und fremde Angelegenheiten,

    z.B.
    - Nur Dein Vater kann sich um seine Gesundheit kümmern (wollen).
    - Nur Du kannst beschließen, innere Zufriedenheit und Geborgenheit
    zu verdienen. (Auch und gerade, wenn ein Elternteil da ausfällt.)

    Wie "man das macht", in sich versorgter und zuversichtlicher zu
    werden, konnte ich nur mit Menschen lernen, die mich da abholen
    konnten, wo ich stand: Gleichgesinnte, also Kinder aus Suchtfamilien
    oder dysfunktionalen Familien (anders emotional abwesende Eltern).
    Entsprechend wird das oft "Neu-Beelterung" genannt. Einen liebevollen
    Umgang mit der eigenen Person und wirklich allen Gefühlen erlernen.
    Retten-Wollen, Kontrolle durch eigene Genügsamkeit (nichts brauchen,
    niemanden schwächen), überentwickeltes Verantwortungsgefühl, ...
    das waren so meine Aha-Erkenntnisse beim Lesen dazu. Es steigt viel
    Schmerz auf, sobald die Machtlosigkeit innen angekommen ist. Für
    mich war das der Schlüssel auch zu den dahinter liegenden Verlusten,
    die weit vorher stattgefunden hatten, von mir aber unbemerkt, solange
    ich im Abfedern der Belastungen für Mutter oder Vater gefangen war.

    Du bist nicht allein. Es gibt Menschen, die das alles ganz genau kennen.
    Das möchte ich Dir noch zum Mut machen weiter geben. :)

    :sun:

    Herzliche Grüße
    Wolfsfrau

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