Habe mich als Schwester registriert und einen Bruder der....

  • schon vor 2 Jahren vor mir (Schwester 50j) und meinem Vater seine Alkoholsucht gestanden.
    Ich war ganz baff, hätte es nicht gedacht. Als er um die 40 jahre alt war, sagte er oft:" seid froh, dass ich kein Alkohlproblem habe".
    Allerdings hatte er Andere diverse Probleme, er hat es nicht geschafft im Leben Fuß zu fassen, einen Job zu erlernen und ihn durchzuhalten.
    Es mangelte nicht an Bildungsangeboten, das Abitur hat er auch geschafft, ist aber je älter er wurde, immer mehr abgelenkt worden.

    Nun sind mein Vater und ich damals mit ihm zur Suchtberatung gegangen. Dabei kam leider für mich überraschend heraus, das er mit 23 Jahren schon mal wegen einem Cannabis-Suchtverhalten vorstellig war. Diese Sucht hat er damals wohl überwunden. Mit mir hat man damals nicht gesprochen, es wurde geheim gehalten. Leider wurde seit dem gerade benannten Gespräch vor 2 Jahren nicht weiter an dem Suchtproblem gearbeitet, mein Bruder kam nicht mehr zur Sitzung.

    Heute schreibe ich weil etwas vorgefallen ist: er ist betrunken mit dem Auto gefahren und hat zum Glück nur das Auto vorne und hinten demoliert.
    Er ist und Andere sind unversehrt geblieben, das Auto wurde von der Polizei stillgelegt, Fläppe einkassiert.
    Nun möchte er just wieder zur Suchtberatung um eine Therapie anzufragen.

    Ist das der richtige Ansatz, es passiert etwas und dann mache ich die die Therapie?
    Muß ich ihm als Schwester beistehen, owohl er damals hochmütig eien mögliche Therapie abgelehnt hat?

  • Hallo Schwester,

    ich schreibe dir auch als eine Schwester, allerdings bin ich die mit der Alkoholsucht und meine Schwester ist die Angehörige. Ich bin 51 und seit mehreren Jahren trocken.

    Du schreibst

    Zitat

    Nun möchte er just wieder zur Suchtberatung um eine Therapie anzufragen.


    Hat er gesagt, dass er das tun möchte, oder tut er es?

    Du fragst, ob du ihm als Schwester beistehen musst.
    Hat er dich denn um Unterstützung gebeten?
    Du musst erstmal gar nichts, oder wie siehst du das?

    Außerdem fragst du, ob das der „richtige Ansatz ist“

    Zitat

    es passiert etwas und dann mache ich die die Therapie?

    Aus meiner Sicht gibts da kein richtig und falsch, sondern nur etwas, das funktioniert und etwas, das nicht funktioniert, und das kann man dann ja erst im Nachhinein sehen.

    Es ist oft so, dass ein solches Ereignis wie das, was du von deinem Bruder erzählst, den Anstoß gibt, sich Hilfe zu holen und trocken zu werden. Und die Suchtberatungsstelle ist da auf jeden Fall eine gute erste Anlaufstelle.

    Für deinen Bruder, aber auch für dich, wenn du dich als Angehörige auch selber beraten lassen möchtest.

    Was die Alkoholsucht deines Bruders betrifft, kann nur er selber die Schritte gehen.
    Evtl. kann er sich auch von seinem Hausarzt eine Einweisung für einen stationären Entzug holen.

    Bei mir war übrigens ein Auffahrunfall (zum Glück ebenfalls nur mit Blechschaden) unter Alkoholeinfluss, der aber nicht „entdeckt“ wurde, einer der Faktoren, die das Ende meiner Trinkerei einläuteten.

    Viele Grüße, und wenn du Fragen hast, immer gerne.

    Camina

  • Hallo Camina,
    toll von Dir zu hören, wir sind auch noch fast gleich alt 44.
    Mein Bruder ist nur knappe 2 Jahre jünger wie ich, also 49 Jahre alt.
    Eine Therapie hat er noch nie gemacht, zwar angeboten bekommen, aber nicht einmal versucht..... :-[
    Nun meldet er sich bei der hiesigen Suchtberatung, um erst einmal nach den Möglichkeiten (Corona Zeit) und Zeitfenstern der Therapie zu fragen.
    Aufgrund seines Unfalls vor 10 Tagen, sieht er sich wohl in der Pflicht, kann aber auch sein, das die Polizei darauf besteht..... .
    Deshalb bin ich mir nicht sicher, ob er wirklich bereit ist. Er hat höllen Respekt davor, hat Angst, er kommt da nicht mehr weg.
    Direkt hat er mich noch nicht angesprochen, dass ich Ihm Helfen soll. Durch die Blume sagt er, er habe starke Erinnerungslücken der Kindheit betreffend, ob ich ihm etwas aus der Zeit erzählen könnte, damit er der Therapeutin dies zu erzählen hat.
    Das finde ich nicht so toll, denn er gibt gerne meiner Mutter die Schuld für vieles. Und wenn er es nicht mehr weiß, kann es ja auch nicht mehr der absolute Auslöser des Trinkens sein. Ich gebe zu, das ich gerade bei Netdoktor gelesen habe, das wenn Mütter auf die Bedürfnisse des Kindes nicht richtig eingehen, auch etwas herrühren kann. Vielleicht ist es eine Komponente.

    Mein Bruder lebt bei meinem Eltern im Haus in der Dachwohnung, er war nicht verheiratet und hat nie mit einer Freundin zusammen gelebt.
    Er hatte aber viele kürzere Beziehungen zu richtig tollen Frauen, die ich teilweise als Freundin hatte. Nun jetzt kurz vor 50 ist keine Frau mehr in Sicht und Corona hat ihm den letzten Rest gegeben. Denn auch Freunde sind kaum noch da.
    Zuletzt waren seine Worte :" ihr (Mama und Ich) haltet alle die Beine Still und ich soll denn die Therapie machen"

    Camina1969, ist deine Schwester in eine Gruppe für Angehörige gegangen bzw. war sie auch bei der Suchtberatung?
    Danke und einen schönen Samstag noch,
    Schwester

  • Hallo Schwester,

    Nein, meine Schwester war wegen meiner Alkoholkrankheit nicht bei einer Beratung, soweit ich weiß. Sie hat aufgrund ihrer eigenen Biografie für sich selbst eigene Maßnahmen / Hilfen ergriffen bzw. in Anspruch genommen.
    Meine eigene Trinkerei war der Großteil der Zeit eine heimliche Sucht, daher ist ihr das (mein) Problem eben auch nicht bewusst gewesen, bis kurz bevor ich aufhören konnte.

    Bei euch ist die Konstellation, die ich rauslese, eine andere.
    Für mich liest es sich so, als wollte dein Bruder die Verantwortung für sich selbst nicht wahrnehmen. Das ist bei mir teilweise auch so gewesen.
    Er ist aber selbst für sich verantwortlich, nicht du oder irgendjemand sonst. Eine Therapie kann sicherlich helfen, das zu verstehen und in diese Eigenverantwortung hineinzuwachsen, die zunächst wie eine Belastung wirkt, dann aber eine große Befreiung ist, weil sie handlungsfähig macht.

    Zitat

    ihr (Mama und Ich) haltet alle die Beine Still und ich soll denn die Therapie machen

    Ich würd ihn vielleicht fragen: Wieso „soll“? Sein Alkoholproblem kann er nur selber angehen. Eine Aufarbeitung der Biografie kommt dann ggf. erst später, denn bevor er nicht trocken ist, hat das keinen Sinn, das weiß ich aus meiner eigenen Erfahrung.

    Wenn du dir selber eine Beratung suchst, dann nur für dich selbst!
    Es ist super schwer, wenn man in so einer Familienkonstellation festsitzt, wo die Grenzen nicht klar sind, bei sich zu bleiben. Aber ich glaub, das ist ganz wichtig, sich zu fragen, ist das „meins“? Oder ist das „seins“?
    Insbesondere, wenn sich Widerstand regt, wenn der andere (dein Bruder) daran gewöhnt ist, sich als „Opfer“ zu sehen und seine Eigenverantwortung nicht wahrzunehmen. Dafür - dem zu begegnen - kann Unterstützung, eventuell auch in einer SHG für Angehörige, sehr hilfreich sein.

    Dir heute einen schönen Sonntag!

    Camina

  • Hallo liebe Schwester,

    willkommen hier bei uns im Form. Danke Dir das Du Dich uns mit Deiner persönlichen Geschichte anvertraust.

    Ich darf mich kurz vorstellen:

    Proky, 43 Jahre alt trockener Alkoholiker seit über 15 Jahren. Aktiv in diesem Zeitraum in der analogen und virtuellen Suchthilfe.

    Camina hat ja schon die wichtigste Aussage geschrieben:

    Zitat

    Du musst erstmal gar nichts...

    Eine korrekte Aussage, welche dir jeder ehemaliger Alkoholiker oder ein Angehöriger sofort bestätigen wird!

    Warum? Dein Bruder ist erwachsen/volljährig, voll geschäftsfähig und somit ALLEINE für sein Leben verantwortlich! Insbesondere in dessen, was er tut, was er macht...

    Weder ist es Deine/Eure Pflicht ihm zu helfen, noch hat er einen Anspruch darauf!

    Mit anderen Worten: Wenn Du/ihr ihm helfen wollt, dann nur weil Du/ihr es wollt und nicht weil Du/ihr es "müsst", aus einem (falsch verstandenen) Pflichtgefühl heraus...


    Liebe Schwester, wenn ich Deinen Post über deinen Bruder so lese dann drängt sich mir folgender Eindruck über deinen Bruder auf:

    1. Dein Bruder hat nachdem was Du geschrieben hast, anscheinend noch nie wirklich in seinem Leben für etwas Verantwortung übernommen.

    2. Ich habe aufgrund meiner Erfahrung in meiner ehemaligen SHG, wo wir u.a. auch MPU-Vorbereitung machten, dass dein Bruder nicht einsieht das er ein Alkoholproblem hat, sondern eher ein Führerscheinproblem...

    Was meine ich damit?

    Dein Bruder wäre nicht der erste Alkoholiker, der aufgrund vom saufen seinen Führerschein verliert, dann im Anschluss alles tut um diesen wieder zu bekommen und wenn er ihn dann hat, erneut mit saufen zu beginnen...

    Ich gebe zu, dass ist jetzt eine Vermutung von mir, aber ich hatte wie gesagt genug Einblicke in diesen Bereich. Und so wie Du sein Verhalten beschreibst, habe ich aufgrund meiner Erfahrung nicht den Eindruck, als ob es nun endgültig bei ihm "Klick" gemacht hat...

    Falls ich mich täuschen sollte, dass kann man aber erst viel später sagen, bin ich natürlich bereit meinen Irrtum zuzugeben.

    Aber liebe Schwester, warum schreibe ich Dir das?

    Ich möchte dich etwas sensibilisieren nämlich in die Richtung gehend, dass Du dir zum einen nicht einredest, dass nur Du und Dein Vater Deinen Bruder helfen könnt, dass es quasi nur an Euch beiden liegt, dass Dein Bruder aus der Sucht heraus kommt.

    Nein!

    Es liegt weder an Dir noch an Deinem Vater oder sonst wem, dass Dein Bruder aus der Sucht heraus kommen möchte. Das liegt einzig und alleine an ihm selbst! Er muss wollen! Er muss von sich aus aufhören wollen. Er muss von sich aus einsehen, dass der Alkohol ihm schadet.

    Und wenn er diese Einsicht hat und aufhören möchte, dann gibt es Einrichtungen die ihm dabei helfen. Suchtberatung, Langzeittherapie...

    Es hilft nichts da zweimal hinzugehen und es dann sein zu lassen, Nein, da heißt es schon über einen längeren Zeitraum hinzugehen, selbstdiszipliniert - womit wir übrigens bei der Verantwortung wären die ich oben hinterfragt habe...

    Liebe Schwester, ich persönlich möchte Dir und deinem Vater noch den Tipp mitgeben, außer das ihr im Bewusstsein leben sollt, dass ihr zu nichts verpflichtet seid, befasst Euch mal mit dem Thema Co-Abhängigkeit z.B. Google...

    Noch besser: Geh(t) mal selbst zur Suchtberatung und bittet um ein Gespräch zu diesem Thema...

    Gerne können wir auch hier im Forum unter der Rubik "Angehörige" darüber schreiben.

    Abhängigkeit von Drogen und Familie ist ein sehr verbündeltes Thema, was man nur durch klare Verantwortung und Abgrenzung entzerren kann...


    Und wenn Du Fragen hast liebe Schwester, ganz gleich welche, schreibe gerne hier im Forum...

    LG

    Proky

  • Vielen Dank Camina 1969 und Proky,

    wirklich, wirklich gute Antworten auf mein Anliegen, ich bin ganz platt!
    Die Worte stehen geschrieben da und ich kann sie mir jede Woche noch einmal durchlesen, so gut ist es geschrieben!

    Mein Bruder hat mir heute per SMS geschrieben und mir einige Vorwürfe gemacht, ich hätte Ihn wie Dreck behandelt und abgewiesen. Ja das stimmt, ich war irgendwie diskriminierend, weil er sich mit Alkohol nicht im Griff hatte und habe micht dann irgendwann für Ihn geschämt.

    Nun, auch darf ich nicht in die Co-Abhängigkeit fallen, denn ich neige schon fast dazu. Ich versuche die Balance zu halten.
    Ich werde bestimmt noch Fragen haben, Camina hast du es mit einer Therapie geschafft vom Alkohol weg zu kommen?

    Liebe und dankbare Grüße, Schwester

  • Guten Morgen ,
    schön das du den Weg hierher gefunden hast. Ich heiße Friedhelm, bin 58 und seit 2 1/2 Jahren zufrieden abstinent von Alkohol und Medikamenten,
    Du hast aus meiner Sicht vieles richtig gemacht und die Reaktion deines Bruders ist eh typisch für uns Suchtkranke wenn wir mit unserem Problem durch dritte konfrontiert werden.
    Ich habe in der Zeit meiner Abstinenz einiges lernen dürfen, was vielleicht auch für dich wissenswert sein kann.
    1. Du bist nicht verantwortlich für das Handeln deines Bruders, auch wenn er es dir noch so gerne einreden möchte!
    2. Du kannst andere nicht ändern, dass können die nur selber!
    3. Es gibt keinen Königsweg zur zufriedenen Abstinenz, was dem einen hilft, kann beim anderen versagen. (Die erprobteste Abfolge ist meist : Problemeinsicht- Entgiftung- Abstinenzentscheidung-Therapie-Nachsorge-Selbsthilfegruppe) Ich kenne Leute, die einen anderen Weg genommen haben und auch abstinent sind.
    4. Als Angehöriger nicht zum Komplizen machen lassen, konfrontieren, distanzieren jedoch die Hand ausstrecken. (Die Therapeuten nennen das :"In Liebe loslassen!" )
    5. Ich habe gelogen das sich die Balken biegen weil ich nicht mehr zwischen meiner Wahrheit und der Wahrheit der anderen unterscheiden konnte. Das muss man als Außenstehender akzeptieren und sich nicht nach dem Grund fragen warum ein Alkoholiker lügt!
    Ich wünsche dir viel Kraft, die wirst du brauchen.

    Gruß Friedhelm

  • Guten Abend Friedhelm,

    danke für deinen Beitrag und deine Zeit, mir ein paar Denkanstöße zu geben! :)
    ......die Punkte 1 bis 5 sind wirklich interessant und sagen kurz und knapp aus, wie ein Zusammensein mit einem Suchtkranken noch ansatzweise möglich sein kann und wie man sich ein paar Regeln setzt.

    Mein Bruder kann auch gut lügen, ich weiss manchmal nicht warum Manches belogen wird, es scheint aus Spaß am Lügen und hat nicht immer Sinn bzw. einen Vorteil.
    Und es stimmt, ich brauche in Zukunft noch viel Kraft, denn jetzt passiert jede Woche etwas Neues mit meinem Bruder, da kann ich mir hier im Forum die Finger wund schreiben. Dann werde ich in der Rubrik "Angehörige" schreiben.
    Ihr schreibt auf jeden Fall echt klasse, man kann viel aus manchen Worten nehmen.
    Friedhelm und alle Anderen, kommt gut durch diese seltsame Zeit, ich wünsche gute Musik und ein Glas Johannisbeersaft 44.

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