Ich will meine Mutter zurück...

  • Hallo an alle Foren-Mitglieder!

    Ich suche auf diesem Weg jemanden, der meine Gefühle nachvollziehen kann oder vielleicht sogar die gleichen Gefühle hat.

    Meine Mutter hat angefangen zu trinken, da war ich ca. 11 oder 12 Jahre alt. Sie hat schon vorher gerne und viel getrunken, schon ihr ganzes Leben lang, aber damals ist alles so richtig aus dem Ruder gelaufen. Es war eine schreckliche Zeit, aber zum Glück hat sie es geschafft aufzuhören als ich 16 war.
    Nun ist sie schon 11 Jahre trocken und ich freue mich natürlich sehr darüber! Ich habe eine Therapie gemacht und ihr verziehen, ich bin auch nicht mehr böse.

    ABER: Ich habe so unglaublich starke Gefühle des Verlustes. Ich habe immer gedacht, Mama muss nur aufhören zu trinken und sie wird wieder die Alte. Das war nicht so. Dann habe ich gedacht, dass ich eine Therapie machen muss und dann wird sie für mich wieder die Alte. Aber jetzt, 1 Jahr nach der Therapie muss ich einsehen dass sie nicht mehr die Alte ist und auch niemals mehr sein wird. Und das macht mich so unglaublich traurig.
    Grade heute war ich sie mal wieder besuchen, und seitdem heule ich mir die Augen aus.
    Ich will einfach meine Mama wieder haben, so wie sie vor der Sucht war, sie war fröhlich und liebevoll und lustig und glücklich. Der Alkohol hat alles zerstört. Nun hat sie kaum noch Emotionen übrig und auch geistig ist sie einfach nicht mehr fit... und das tut so weh.
    Oft stelle ich mir vor wie schön es wäre wieder ein kleines Kind zu sein und ins Bett meiner Mutter zu steigen, die mich in den Arm nimmt und mir sagt dass alles wieder gut wird.
    Es fühlt sich fast so an als wäre sie gestorben. Die Frau, die sie jetzt ist, ist mir so fremd und das tut sehr weh weil ich sie doch eigentlich so lieb habe, ich sehne mich einfach nach meiner Mutter und das obwohl sie ja eigentlich da ist, aber irgendwie eben auch nicht.
    Und dazu kommt das schlechte Gewissen, ich meine, ich müsste mich doch glücklich schätzen dass meine Mama überhaupt noch lebt und es geschafft hat trocken zu werden!? Bin ich undankbar? Bin ich egoistisch weil ich sie nicht so akzeptieren kann wie sie ist sondern sie so haben möchte wie ich es will!?

    Tut mir leid wenn es etwas chaotisch klingt, aber grade ist in meinem Kopf alles so durcheinander.
    Gibt es hier vielleicht Menschen, die ähnliche Gefühle haben, und mir vielleicht sagen können wie ich es schaffe endlich zu akzeptieren dass meine Mutter, wie ich sie mir wünsche, einfach nicht mehr existiert?
    Ich bin sehr verzweifelt.

    Danke fürs zuhören!

  • Ich möchte Dich erstmal herzlich begrüßen bei uns im Forum :welcome:

    Ich bin m, 57, Alkoholiker wie Deine Mutter und nun schon einige Jahre trocken und auch in der Suchtselbsthilfe ein wenig unterwegs.

    Von daher kann ich Dir aus meiner Sicht nur sagen, dass Du DIE Mutter von vor der Sucht nie wieder bekommen wirst.
    Schließlich verändern wir uns ALLE auf Grund der gemachten Erfahrungen - auch Du.
    Auch Du wirst nie wieder so sein wie vor ihrer Sucht.

    Manchmal habe ich leicht perverse Gedanken und denke mir, dass ich irgendwie froh sein kann, Alkoholiker geworden zu sein. Denn sonst wäre ich nicht so und das geworden, was ich heute bin. nixweiss0

    Aber vielleicht antwortet Dir ja noch Jemand von den Angehörigen - es dauert eben manchmal, bis hier Eine/r antwortet. Das ist normal.

    Ich wünsche Dir jedenfalls alles Gute und einen guten Austausch!

    Gruß
    Greenfox

    Es rettet uns kein höh’res Wesen,

    kein Gott, kein Kaiser noch Tribun

    Uns aus dem Elend zu erlösen

    können wir nur selber tun!

  • Hallo Giacoda,

    Ich bin 50 Jahre alt und Alkoholiker. Und trinke jetzt schon lange nicht mehr.

    Es ist schwer etwas zu Deiner Geschichte zu schreiben. Klar ist ein Alkoholiker nach Beendigung seiner Sucht nicht mehr derjenige der er davor war. Dafür ist viel zu viel passiert. Tiefgreifende und prägende Dinge.

    Aber in vielen Fällen entwickelen sich trockene Alkoholiker zum Positiven. Zumindest wenn sie so lange trocken sind wie Deine Mama. Es gibt schon auch welche, die mit der Faust in der Tasche trocken sind. Ich vermute dann immer, dass sie eigentlich nicht zufrieden sind mit ihrem Leben.

    Und genau das ist die Kunst: zufrieden oder sogar glücklich sein ohne den Alkohol zu vermissen, ohne diese HILFSMITTEL das einem früher dieses Gefühl verschafft hat.

    Ich Weiß nicht was bei Deiner Mama genau passiert ist. Ich denke Du kannst nur an Dir selbst arbeiten. Du hast es ja schon versucht aber jede Therapie ist nur eine Anleitung oder besser ein Anstoß zur Selbsthilfe. Die eigentliche Arbeit beginnt erst danach. Das gilt auch für uns Alkoholiker. Vielleicht musst Du noch Deinen Weg finden, damit Du loslassen und Dein Leben leben kannst.

    Nur ein paar Gedanken von mir.

    Alles Gute Dir!

    LG
    Gerchla

  • Hallo ihr Lieben, ich danke euch für die netten Antworten!

    Ihr habt sicher Recht, der Alkohol verändert und nicht nur das, auch die Zeit verändert Menschen. Ich denke auch dass es MEIN Problem ist, und nicht ihres. Ich habe mit ihr heute über meine Gefühle gesprochen. Sie hat angemerkt dass die Mutter, an die ich mich erinnere, wahrscheinlich auch nur so "glücklich" war, weil sie angetrunken war. Sie hat auch gesagt dass sie einfach ruhiger geworden ist, und mit ihrem Leben sehr zufrieden ist und ich mir keine Sorgen um sie machen muss.

    Nun liegt es an mir, die Mutter die ich jetzt habe zu akzeptieren und anzunehmen. Ich denke das wird ein langer Weg. Fürs erste habe ich mir überlegt, in eine Selbsthilfegruppe zu gehen.
    Und auch hier im Forum zu lesen tut mir sehr gut, nicht nur die Geschichten anderer Angehörigen sondern vor allem Worte von euch, denjenigen, die selber getrunken haben, denn es hilft mir auch meine Mama besser zu verstehen.

    Es wird ein langer Weg werden, ich hoffe ich lerne Strategien, wie ich loslassen kann...
    Danke euch erstmal für die netten Worte.

  • Es wird ein langer Weg werden, ich hoffe ich lerne Strategien, wie ich loslassen kann...


    Hallo liebe Giaconda,

    vermutlich wird es dauern, bis sich Akzeptanz und eigene Gelassenheit bei Dir einstellen,
    was Deine Mutter und ihre Sucht betrifft.

    Ich bin selbst erwachsene Tochter aus suchtkrankem Elternhaus und kann da nur aus meiner
    Erfahrung berichten. Das Wichtigste und Nährendste war meine eigene Therapie, die mir nach
    und nach Zugang zu meinem echten Mangel (an Nähe zur Mutter o.a.) frei geschaufelt hat. Ich
    habe mich zu allererst und überhaupt erstmal ganz klar um meine eigenen Gefühle kümmern
    müssen. - Etwas, das beim be-kümmern und Kummer schieben über andere nahestehende
    Menschen leicht unterbleibt.

    Dann kam ich an meine eigene Wut (Schmerz) heran, dass ICH so viel entbehren musste, was
    andere ganz selbstverständlich in ihren Elternbeziehungen zu bekommen schienen. Das hat mich
    an den tiefer sitzenden, immer schon vorhandenen Schmerz gebracht, udn von da aus auf den
    Weg, ein eigenes "nein" dazu zu entwickeln. - Ich wollte einfach nicht mehr "warten" oder harren,
    ob/bis meine Mutter zu trinken aufhören würde. (Sie hat inzwischen aufgehört.) Ich wollte einfach
    nicht mehr Teil der gemeinsamen depressiven Grundstimmung dort im Haus meiner Eltern sein.

    Vermutlich war es meine eigene Lebendigkeit, die sich im Schutz der Therapie entfalten konnte,
    von der aus ich mehr eigene Standpunkte, Bedürfnisse, Grenzen greifen und formulieren konnte.
    Das war wichtig, um zu entdecken, dass mir diese eigene Klarheit und Achtung (meinen Belangen
    gegenüber) eigenen Halt geben konnte, ganz unabhängig davon, wie sich meine Mutter noch
    verhalten würde.

    Traurig war ich trotzdem oft, dass es war, wie es war. Ich war machtlos ihrer Sucht gegenüber und
    konnte das mehr und mehr auch zulassen. - In der Folge wurde ich freier und freier, mich mehr
    dem Guten in meinem eigenen Leben zuzuwenden: Unterstützenden, emotional erreichbaren Men-
    schen, die sich selbst lieben und für sich selbst verantwortlich sein konnten. Oder Tätigkeiten, die
    mir Vergnügen und Zufriedenheit schenken. - Das war ein Prozess, der nicht nur mir mehr Raum
    für meine eigenen Bedürfnisse erschlossen hat, sondern auch meiner Mutter mehr Raum gab, ihre
    eigenen Angelegenheiten ganz nach ihrem inneren Maß, ihrem Timing, und ihren Prioritäten anzu-
    gehen.

    Ich habe gehört und verstanden: So lange ein Angehöriger mit um die Sucht kreist, ständig helfen,
    bewahren, schützen oder "glätten" will ... solange stört er/sie die Verbindung des Süchtigen zu sich
    selbst, zu seinem Missempfinden, seiner Betroffenheit, seinem Willen oder Unwillen. Man beschleu-
    nigt also gar nichts, wenn man mit-mischt, im Gegenteil. Beide Seiten müssen den Entzug machen
    (wollen!): Der Angehörige vom Kümmern-um, der Süchtige vom Alkohol (und dem, was dran hängt).

    Eine Sache noch zur Mutter, wie sie "mal war" ... Meine hat wie gesagt auch viel getrunken und war
    irgendwie völlig neblig für mich, weit weg, in sich versunken, niedergeschlagen, trotz ihres Wesens,
    das ich ja auch kannte. (Wohlwollend, großzügig, spontan, warmherzig)

    Seither sind gute 8 Jahre ins Land gegangen, sie trinkt so lange schon nichts mehr. Wir haben uns
    inzwischen ganz neu angenähert (auch weil mein Vater nicht mehr dabei ist), und ich staune über
    dieses Geschenk. Teils wurde es möglich, weil ICH sie lassen konnte, wie sie war (auch mit Sucht),
    indem ich Abstand nahm und mir das zu erlauben lernte. Und teils wurde es möglich, weil dadurch
    SIE sich nicht mehr bevormundet, unterschwellig korrigiert ("es gibt SHGs, weißt Du?) oder bewertet
    fühlte. - Jedenfalls ist es in begrenztem Umfang - falls die Sucht zum Stillstand gebracht wird -
    möglich, eine neue Basis zu finden. Bei uns ist es zunehmende Ehrlichkeit über sich SELBST, die wir
    in Gesprächen teilen können.

    Vielleicht ist das das Geheimnis: Auf dem eigenen Weg der Heilung immer klarer für sich selbst und
    die eigenen Gefühle zu werden. Von dort aus angstfreier und ehrlicher, die auch angemessen mitzuteilen.

    Dann geht es immer weniger darum, ob das Gegenüber etwas tut oder nicht, sondern die eigene
    Freiheit, so klar es geht auftzutreten, färbt das Miteinander positiv ein und öffnet auch dem Gegenüber
    Raum, es gleich zu tun. Dann geschieht die Heilung der Beziehung ganz ohne "Plan" oder Anstrengung,
    einfach aus dem Fluss, den man in sich selbst klar und sauber hält. (Ehrlichkeit, Selbstachtung, Würde.)

    Ich wünsche Dir jedenfalls von Herzen, dass sich Eure Beziehung zu gegebener Zeit erneuern kann!

    Was ich dazu sagen wollte, ist eigentlich nur: Es genügt, seine eigene Seite dafür zu pflegen und zu
    stärken. Je klarer eine Seite ist, umso eher entwirren sich die ehemals ungut vermischten Zuständigkeiten,
    so dass jeder immer mehr seiner Eigenverantwortung zurück bekommt und den Rest liegen lassen darf.

    Alles Gute für Deinen Weg
    und liebe Grüße

    Wolfsfrau

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