Wie geht es weiter?

  • Noch was..und dann ziehe ich mich selbst da erst mal wieder raus und lasse Dich Dein Ding machen:

    Die ganze Erfahrung zeigt, dass ein Alkoholiker "so weit sein" muss, es muss irgendwie geschnackelt haben, dann gehts plötzlich oder er ist bereit, alle möglichen Schwierigkeiten auf sich zu nehmen. Bis zu diesem Punkt nimmt er Schwierigkeiten zum Anlass, zu trinken. Das muss ihm deswegen noch lange nicht so bewusst sein, ganz nebenbei.
    Natürlich kann man das anfangs ein bisschen abmildern, indem man die Schwierigkeiten am Anfang etwas verringert. Aber alle Eventualitäten kannst Du sowieso nicht vorausberechen, Du bereitest Dich auf 15 Szenarien vor und dann kommt das 16te mit dem Du eben nicht gerechnet hast.

    Jedenfalls, so lange er das mehr oder weniger unfreiwillig macht, weil er noch nicht "so weit ist" und das nur unter Druck von aussen macht, schauspielert er möglicherweise auch nur. Oder er steckt selbst in der Zwickmühle, weil er gerne beides haben möchte, die Beziehung bzw. Dein Kümmern um ihm UND die Sauferei. Zum Teil merkt er das aber gar nicht selber, weil er auch sich selbst gerne vormacht, dass er das ja nicht "braucht". Jeder ist gerne unabhängig und Herr seines Lebens, wer das nicht ist, gilt als Verlierer, wer will das schon.. Jedenfalls spielt ihm dann die Sucht - als Teil von ihm - irgendwann selbst einen Streich und plötzlich will er halt wieder saufen. Und dann gibts auch noch das Suchtgedächtnis...schliesslich ein bewährtes Prozedere, in bestimmten Situationen oder bei emotionaler Misslichkeit einen hinter die Binde zu kippen.

    Für ihn ist das dann genau so Entschuldigung wie für es das für Dich gerade war "es kam so über mich". Und da muss er dann schon genau wissen, was er will, damit er da nicht nachgibt. Und der Druck von aussen reicht da normalerweise nicht aus, wenn das nicht aus innerer Überzeugung kommt. Druck kann man umgehen, tricksen, man darf sich halt nicht erwischen lassen. Aber da gibts viele Möglichkeiten.
    Und man kann niemandem hinter die Stirne gucken, auch nicht dem eigenen Partner. Man kennt den anderen nie so gut, das man genau wüsste, was der will oder wie der in irgendeiner Situation reagieren würde. Man kann oft nur gucken, was nach aussen hin passiert.

    Emotionen sind oft schlechte Ratgeber und sie ermöglichen vor allem nicht das Hellsehen. Für eine gute Intuition - die öfters passt aber auch nicht immer - hilft es sogar, seine Emotionen mit etwas innerem Abstand betrachten zu können.

    Ich denke, Du bist momentan vor allem angstgsteuert, was kann jetzt alles passieren, Du hast aber auch Hoffnung und versuchst, die Situation irgendwie unter Kontrolle zu behalten. So wie es bisher war, soll es nicht weitergehen, aber wie und ob es weitergeht steht in den Sternen. Und natürlich hängst Du mit drin, wenn ers schafft, schafft Ihr es vielleicht auch, wenn er es nicht schafft, dann ist das gemeinsame wohl auch nichts mehr.

    Du bist jetzt genau so gezwungen, Geduld zu üben oder zu lernen, wie er. Er braucht die Geduld und Gelassenheit dann sowieso, um trocken zu bleiben, weil im Leben fast nie alles so läuft wie man das will, ist also eh keine falsche "Investition". Und auch Du musst wissen, was Du willst und wie Du mit den jeweiligen Situationen umgehen willst, und eventuell auch von Fall zu Fall entscheiden müssen, weil man eben nicht alles vorausplanen kann.

    Hat sich übrigens mit Deinem letzten Beitrag jetzt überschnitten. Wie gesagt, das "ist das nicht verständlich" könnte er auch anbringen, wenns ihm durchgeht. Und dann musst Du entscheiden, wie oft Du das mit machst und weiter drin hängst.

  • Noch ein allerlertzter Kommentar

    Wenn das den Partner erkennbar stark belastet und er sein Glück davon abhängig macht, ob der andere jetzt trocken wird, kann das für den Alkoholiker auch wieder zu einer Belastung werden, er hat dann das Gefühl, das er für Dein Glück verantwortlich ist und Deine Last auch noch mitschleppen muss, und das kann auch zu viel werden.
    Irgendwo hab ich mal gelesen, für Sterbende ist es kein Trost, wenn sie die sorgenvollen Gesichter ihrer Angehörigen sehen. Und auch wenn man in einem Loch sitzt, bringt es eher wenig, wenn man sich um das Leiden Seines Gegenübers auch noch Sorgen machen muss. Ein unglücklicher/unzufriedener/ungeduldiger Partner kann auch für einen Alkoholiker, der trocken werden will, eine Belastung sein. Und auch der braucht seinen Abstand.

    Mir persönlich gehts da eigentlich besser, wenn ich weiss, der andere ist nicht davon abhängig, was ich mache. Das nimmt mir eine Last von den Schultern, auch wenn ich mich natürlich auch erst damit abfinden muss, dass der mich ja gar nicht braucht. Aber mit jemandem mit zu fühlen ist auch nicht das gleiche, wie mit zu leiden. Also das hat nicht unbedingt mit "egal sein" zu tun, sondern damit, freier in seinen Entscheidungen zu werden.
    Und das Thema ist dann auch wieder Teil der Coabhängigkeit, eines Verhaltens, das die Sucht des Partners eher fördert. Streitereien gehören auch dazu, weil sie Saufgründe liefern.

    Das Thema, wie man diese ganze Verstrickungen und gegenseitigen Verantwortlichkeiten auseinanderklauben kann, haben wir dann irgendwann in der Paartherapie gelernt. Das ist schon rentabel, sich damit zu beschäftigen.

  • Hallo Tinka,

    und jetzt auch noch meine Gedanken zu Deiner aktuellen Situation.

    Aus meiner Sicht eine Aussage, die Du hier formuliert hast, die ganz entscheidende. Denn Du hast geschrieben: Wenn er wieder trinkt, dann bin ich weg (oder ziehe ich aus).

    Wenn Du wirklich bereit bist, dass dann auch durchzuziehen, dann hast Du hier erst mal Deinen Notfallplan. Das wird Dich, sollte es doch nichts werden, auf jeden Fall davor schützen mit ihm zusammen noch tiefer in den Suchtstrudel gerissen zu werden. Und das halte ich für ganz wichtig, denn es geht hier ja um Dich! Du hast Dich hier angemeldet und suchst Hilfe für Dich. Damit bist Du meiner Meinung nach auch schon viel weiter, als ganz viele andere Angehörige, die hier oft schreiben. Da geht es nämlich nicht selten darum, was man denn tun könnte um den trinkenden Partner zu helfen bzw. ihn vom Trinken abzuhalten.

    Ich bin nach wie vor der Meinung, dass Du sehr klar bist. Das Du nun emotional auch mal an Deine Grenzen kommst.... Das ist für mich mehr als verständlich. Was Susanne Dir geschrieben hat, also das eigentlich er das alles völlig allein und für sich lösen müsste, das stimmt sicherlich. Das ist sowas wie der optimale Fall (manche sagen aber auch die Grundvoraussetzung) um es wirklich dauerhaft schaffen zu können.

    Aber ich möchte auch sagen, dass ich schon mit einigen Menschen Kontakt hatte, die nur aufgrund massiven Drucks durch den Partner oder die Familie oder sogar den Arbeitgeber etwas unternommen haben, dann in LZT gegangen sind und sich dort erst mal völlig falsch vorkamen. Um dann dort im Laufe der Therapie plötzlich zu merken, dass sie hier vollkommen richtig sind und dann darüber mehr und mehr zur Überzeugung gelangt sind, dass sie nicht mehr trinken wollen.

    Das sind sicher eher die Ausnahmen. Viele die "gezwungen" in Therapien gehen, kommen raus und saufen kurze Zeit darauf wieder. Leider "passiert" das aber in gar nicht so geringer Anzahl auch jenen, die hochmotiviert dort hin gegangen sind. Aber sie haben eben deutlich bessere Chancen. Was ich sagen will: Wenn Du ihn jetzt noch ab und an mal einen Stubser gibst, meinen Segen hast Du. Entscheidend ist immer, wie es Dir damit geht. Und ganz entscheidend ist, dass Du genau weißt, wann der Zug abgefahren ist. Und das hast Du ja für Dich klar festgelegt. Trinkt er wieder bist Du weg! Siehe meine Zeilen weiter oben.

    Das ist nur meine Meinung. Man kann da auch andere haben. Ich denke mir halt manchmal, es ist vielleicht auch ein wenig typabhängig, welcher Weg jetzt genau der passende oder richtige ist. Sowohl beim ausstiegswilligen Alkoholiker als auch beim begleitenden Angehörigen.

    Lass Dich nicht unterkriegen. So lange Du Deine Exit-Strategie hast und diese dann auch anwendest hast Du einen Sicherungsanker. Fatal ist es einfach, wenn Du kleben bleibst und Dich von Woche zu Woche, von Monat zu Monat und dann irgendwann von Jahr zu Jahr hangelst und nebenher das Leben an Dir vorbei zieht. Das sehe ich bei Dir aber nicht.

    Alles Gute!

    LG
    gerchla


  • Aber ich möchte auch sagen, dass ich schon mit einigen Menschen Kontakt hatte, die nur aufgrund massiven Drucks durch den Partner oder die Familie oder sogar den Arbeitgeber etwas unternommen haben, dann in LZT gegangen sind und sich dort erst mal völlig falsch vorkamen. Um dann dort im Laufe der Therapie plötzlich zu merken, dass sie hier vollkommen richtig sind und dann darüber mehr und mehr zur Überzeugung gelangt sind, dass sie nicht mehr trinken wollen.

    dem stimme ich zu. Ich bin selbst ein Mensch, der diesen Druck aufbauen konnte und es gibt ein paar Leute, die sagen, ich habe ihnen so oft einen Tritt gegeben, bis sie es kapiert haben. Als ich noch mehr Lust hatte, mich zu engagieren, habe ich mir da heiße Diskussionen mit manchen geliefert. Und wenn ich hier ab und an schreibe, ich kenne Leute mit 100 Entgiftungen und drei Langzeittherapien, dann habe ich das bei mehreren in voller Länge selbst mitgekriegt. Also nicht nur hinterher oder vom Hörensagen. Und einige gehören heute zu meinen besten Freunden. Von daher weiss ich natürlich auch zusätzlich, was Aufhören bewirken kann, nicht nur bei mir :D

    Allerdings hatte ich auch selbst was davon, denn es gehört zu der Auseinandersetzung mit meiner eigenen Sucht und meiner Familiengeschichte. Für mich war das eine Art, meine eigene Wut und Hilflosigkeit intellektuell und emotional zu bewältigen. Da war die Wut zu was gut und eben nicht so selbstzerstörerisch wie ich das lange gelebt hatte. Und meine Exit-Strategie stand immer, denn mich hat das in meinem Leben nie so besonders beeinträchtigt, wenn einer weiter gesoffen hat. Ich konnte die Leute auch verrecken sehen, wenn sie das partout nicht einsehen wollten, hart gesagt. Das war für mich Informationsinput, wie man es nicht machen sollte, und Bestätigung der Einsicht, mit was wir es bei Alkoholismus zu tun haben. Und wenns dann jemand nach langen Ringen geschafft hat, war das halt auch immer ein Erfolgserlebnis.

    Jedenfalls ist es natürlich schon klar, dass man die Welt nüchtern anders sieht oder wenigstens sehen könnte, auch wenn die Nüchternheit erzwungen ist. Einsicht kommt da sicher mit größerer Wahrscheinlichkeit als wenn der Kopf immer im Nebel steckt.

    Mir gehts jetzt auch wirklich mehr um die Angehörigenseite, wo dann manche eben über sehr lange Zeit sich selbst nicht davon lösen können und immer wieder Hoffnung schöpfen und auf Versprechungen reinfallen und denen ihr Leben dadurch wirklich versaut wird bzw. sie sich zum Teil auch selbst versauen, weil sie es nicht lassen können und selber emotional abhängig von der Situation sind.

    Und ich kenne nach einer Handvoll Beiträgen hier niemanden so gut, dass ich sicher sein kann, ob der/diejenige das dann auch wahr macht, sich zu trennen, denn leere Drohungen habe ich auch schon oft genug gehört. Wenn es dann zum Rückfall kommt, hat man doch wieder Verständnis oder stellt fest, dass man zu sehr am Anderen hängt. Man kann nun mal viel auch vor sich selbst behaupten, so lange man keine Taten folgen lassen muss.
    Ich erwähne es, weil es für mich dazugehört und damit ich es erwähnt habe. Ob es notwendig ist, weiss ich meistens nicht und was mein Gegenüber daraus macht, habe auch ich nicht in der Hand.

    Im Prinzip gehts mich gar nichts an, was jemand macht, so gut kennen wir uns hier gar nicht. Jedenfalls bin ich bei niemandem erziehungsberechtigt. Also wenn sich jemand auf die Füsse getreten fühlt, den Fuß einfach wegnehmen. Dürfte ja kein Problem sein.

  • Hallo Gerchla,

    danke, ich denke du hast es richtig eingeschätzt. Ich bin ziemlich klar indem was ich will.
    Natürlich bin ich nicht glücklich im Moment mit der Situation. Klar möchte ich, dass es mit der Reha so schnell wie möglich geht, aber wir brauchen Geduld. Und vielleicht ist das ein erster Test, ob er das wirklich will.

    Susanne : Dein letzter Beitrag klingt doch schon ganz anders. Ich glaube, wir haben irgendwie aneinander vorbei geredet.

    Ich versuche nicht, ihn vom Trinken abzuhalten. Die Entscheidung kommt ganz allein von ihm. Und ich hab ihm schon klar gesagt, wenn er wieder anfängt, bin ich weg.
    Früher hätte er mich nicht ernst genommen, aber er hat gesehen, dass ich mich verändert hab und mein eigenes Leben hab.
    Ich denke, ich hab den Vorteil, dass Alkohol zwar schon länger Bestandteil seines Lebens ist, aber es kein wirkliches Problem für mich war.
    Richtig schlimm war es erst die letzten Wochen. Und da gings ihm so schlecht, dass er selbst gemerkt hat, es geht so nicht weiter. Klar verursacht durch einen Schubs von mir.

    Ich hab ihm gesagt, wie ich das sehe und was die Konsequenz ist. Was er draus macht, ist seine Sache.
    Momentan kriegt er n Arschtritt, wenn er in alte Verhaltensmuster fällt (tagsüber schlafen und nachts wach sein) und seine Sachen nicht regelt.
    Um Alkohol geht es aktuell nicht.
    Er hat gesagt, er will das schaffen und das glaub ich. Ich kontrolliere ihn nicht. Ich hab schließlich auch noch n Leben.

    Trotzdem habe ich gesagt, wenn er es durchzieht, kriegt er jede Unterstützung von mir. Er kann mit mir reden (wobei er momentan über diese Dinge lieber mit jemandem aus der Klinik redet, den er da kennengelernt hat, und das ist völlig ok.)
    Dass es hier keinen Alkohol mehr gibt, ist selbstverständlich, auch wenn ich gern mal n Wein zum essen getrunken habe, aber da verzichte ich gerne.
    Ich unterstütz ihn bei den Anträgen, nicht weil ich ihm die Reha aufquatsche, sondern weil der Papierkram ein rotes Tuch für ihn ist.

    Ich habe auch ganz viel von anderen Angehörigen gelesen und ich bin sehr erschüttert, was denen angetan wird und sie bleiben trotzdem. Da ist mein Leidensweg vergleichsweise sehr harmlos.
    Ich glaube an ihn und ich denke, wir haben ne Chance.

    Womit ihr aber beide Recht habt ist, es liegt an ihm, was er draus macht. Ob er seine Chance nutzt oder nicht.
    Und es liegt an mir, wie mein Leben weitergeht.
    Ich bin mir sicher, dass mein Leben weitergeht, wenn auch ohne ihn.
    Es gibt keine Entschuldigungen und Versprechungen für mich, weil ich weiß, dass ich dann mit untergehe.

    Und trotzdem wünsch ich mir, dass er schnell die Chance bekommt, seine Probleme aufzuarbeiten.
    Ich war etwas emotional heute morgen und habe bei einem Spaziergang mit meinem Hund darüber nachgedacht. Bin dann entspannt wieder nach hause gekommen und wir hatten einen schönen Tag. Hilft mir also nicht, wenn ich mich stressen lasse.

    Danke für eure Antworten, Ratschläge und Zeit, die ihr euch nehmt.
    Wie gesagt, ich habe bisher wirklich viel mitgenommen aus diesem Forum.

    LG Tinka

  • Hallo Tinka,

    Ja, ich hab das Gefühl, Du nützt das Forum auch in der Weise wie wir es öfter vorschlagen. Du ziehst Dir die Infos aktiv und wertest die Erfahrungen anderer auch für Dich aus. Selbsthilfe im Sinne des Wortes.

    Auf jeden Fall schaffst Du (und er) anscheinend die Voraussetzungen, unter denen das auch klappen kann. Wie gesagt, bei mir und meinem Partner hats ja auch geklappt, und auch wenn es viele andere abschreckende Beispiele gibt, bin ich ja trotzdem grundsätzlich optimistisch sonst würde ich mich ja selbst Lügen strafen (und jeder Aufwand hier wäre sinnlose Zeitverschwendung, aber so ist es eben nicht)

    Ich wünsche Dir (und Deinem Partner auch) auf jeden Fall alles Gute.

    Gruß Susanne


  • ..Momentan kriegt er n Arschtritt, wenn er in alte Verhaltensmuster fällt (tagsüber schlafen und nachts wach sein) und seine Sachen nicht regelt. Ich unterstütz ihn bei den Anträgen, nicht weil ich ihm die Reha aufquatsche, sondern weil der Papierkram ein rotes Tuch für ihn ist.
    LG Tinka


    Hallo Tinka,
    wenn ich das richtig verstehe heißt das, DU machst den Papierkram und er schläft ?
    Alkoholiker gebrauchen (Not)Lügen und tausend Ausflüchte, wenn es darum geht, etwas nicht zu tun, wozu sie keine Lust haben. Indem du den Papierkram für ihn erledigst, übernimmst du seine Verantwortung.
    Er weist jegliche Verantwortung von sich. Er zeigt damit, dass er nicht die nötige Größe besitzt, um zu seinen eigenen Entscheidungen und Handlungen zu stehen.
    Willst du ihm Sicherheit vermitteln, wo keine ist? Du solltest ihm seine Verantwortung nicht abnehmen, aber du könnest ihn bei dem Papierkram unterstützend helfen. Warum bietest du ihm nicht deine Hilfe an? Ihr könntet den Antrag doch zusammen fertig machen? Wenn er die Reha wirklich will, ist es wichtig, dass er eigene Unzulänglichkeiten einsieht, zugibt und nach Lösungen sucht. Zudem gibst du ihm das Gefühl, dass du ihm etwas zutraust, er gut genug ist, etwas alleine in den Griff zu bekommen. Glaub mir, und da spreche ich aus eigener Erfahrung: Die Verantwortung für das eigene Leben zu übernehmen, macht ungemein frei.
    Ich wünsche euch alles Gute und richtige Entscheidungen :sun:

    ~ bevör ik mi nu opregen deed, is dat mi lever egaal ~

  • Hallo Britt!

    Oh nein, das hast du ganz falsch verstanden.
    Er kriegt von mir den Arschtritt, wenn er wieder anfängt den Tag zu verschlafen. Das geht in meinen Augen nicht. Ich habe einen geregelten Tagesablauf und das erwarte ich auch von ihm. Dazu gehört, dass er tagsüber was macht und nachts schläft.
    Das war ein Problem in der Zeit vor der Klinik. Da hatte er gar keinen Rythmus und das akzeptier ich nicht mehr.

    Ich unterstütz ihn bei den Anträgen. Mehr nicht. Im Traum würde mir nicht einfallen, seine Sachen zu erledigen, während er schläft.
    Ich habe ihm die Hilfe angeboten bei dem Schriftkram. Aber die Initiative muss von ihm kommen.
    Sonst wäre ich ja wieder beim Thema Kontrolle und Vorschriften.

    LG Tinka

  • Guten Morgen Tinka,

    ich möchte noch kurz auf einen Satz von Dir eingehen:

    Zitat

    Er kann mit mir reden (wobei er momentan über diese Dinge lieber mit jemandem aus der Klinik redet, den er da kennengelernt hat, und das ist völlig ok.)

    Es ist wichtig, dass Ihr über dieses Thema redet. Ich glaube daran gibt es keinen Zweifel, denn ansonsten wäre es ja eine Art von ignorieren und das wäre sicher nicht zielführend.

    Dazu möchte ich Dir sagen, dass ich unterschiedliche Phasen des Redens bei mir selbst erlebt habe. In der Anfangsphase konnte ich so gut wie gar nicht tiefer mit engen Angehörigen oder Freunden über meine Sucht sprechen. Ich habe zwar von Anfang an allen mir wichtigen Personen erst mal reinen Wein ;D eingeschenkt, denn dieses Outing war für mich von zentraler Bedeutung. Da habe ich aber "nur" erzählt, wo ich gerade stehe und dass ich mein Leben alkoholbedingt schon lange nicht mehr im Griff hatte. Und natürlich, dass ich jetzt mein Leben ändern möchte.

    Das reichte in der Regel um meine Gesprächspartner erst mal auszuknocken. Denn das kam bei mir ja sozusagen aus heiterem Himmel und so blieb ich erst mal von tiefgreifenderen Gesprächen "verschont". Allerdings führte ich diese dann bei meinen AA-Freunden. Also ähnlich wie das Dein Mann ja auch zu tun scheint.

    Je länger meine abstinente Zeit andauerte, desto offener wurde ich dann für Gespräche. Nach einigen Wochen ohne Alkohol hatte sich dann auch wieder sowas wie ein Miniselbstbewusstsein aufgebaut. Ein Gefühl auf dem richtigen Weg zu sein, ein Gefühl es schaffen zu können. Dann suchte ich aktiv die Gespräche, z. B. mit meinem besten Freund. Und die gingen dann auch richtig tief. Meiner Frau gegenüber konnte ich mich aber nicht öffnen. Denn da war bei mir einfach nur eines in mein Hirn eingebrannt: Meine SCHULD.

    Ich hatte ja alles kaputt gemacht durch meine Trinkerei. Ich konnte mit ihr nicht darüber sprechen, warum ich das getan habe, wieso ich nicht schon früher etwas unternommen habe oder was auch immer. Ich konnte sie nur um Vergebung bitten. Wobei es bei mir dann auch ein wenig ein Sonderfall war, weil ich mich ja dann von ihr getrennt habe.

    Bis heute kann ich mit meiner Ex-Frau nicht ganz offen über meine Sucht und die damalige Zeit sprechen. Das ist eine Baustelle, eine Aufgabe, die ich noch bearbeiten muss und auch bereits bearbeite. Ich weiß hier nicht, was richtig oder falsch ist. Ich habe heute eine sehr gute Beziehung zu ihr und ich habe Angst, dass ich Dinge aufwühlen könnte, die einfach nur verletzen aber niemanden weiter helfen. Ich denke mal, da werde ich mir mal noch Hilfe suchen müssen. Vielleicht werde ich meinen Mönch diesbezüglich mal wieder um ein Gespräch bitten.

    Oh, das war jetzt etwas vom Thema abgekommen. Heute bin ich wieder verheiratet. Meine Frau kennt meine Geschichte natürlich. Wir sprechen über Alkohol, über Alkoholsucht und auch manchmal über mein Engagement im Bezug auf andere Betroffene. Es ist wunderbar eine Partnerin zu haben, mit der ich offen über dieses Thema reden kann. Ich halte Vertrauen und Offenheit für extrem wichtig in einer Beziehung.

    Aber trotzdem bin ich der Meinung, dass meine Frau nicht meine Therapeutin sein kann und darf. Sollte ich also wegen irgend eines Themas psychologische Hilfe benötigen oder der Meinung sein, dass ich diese brauche, dann werde ich sie mir suchen. Bei einen Psychologen oder einem anderen Therapeuten. Meine Frau wird über alles im Bilde sein, sie wird aber nicht diejenige sein, auf die ich meine Probleme 1:1 übertrage um dann von ihr zu erwarten, dass sie mir hilft. Sie kann mich gerne begleiten und das würde sie auch immer tun. Aber regeln muss ich das dann schon selbst.

    Das ging mir durch den Kopf als ich Deine Zeilen gelesen habe. Ach so, und noch wegen dem Papierkram, den Du für ihn erledigst. Auch hier denke ich mir: klar, er müsste es eigentlich alleine machen. Jetzt schreibst Du ja, dass er nicht gerade der Held war (ist),was Papierkram betrifft. Und deshalb hast Du ihm da jetzt halt geholfen. Ist vielleicht nicht ideal aber viel wichtiger ist (aus meiner Sicht wohlgemerkt), ob er gelangweilt daneben sitzt und quasi unbeteiligt ist oder ob er Dir dankbar sozusagen "zuarbeitet". Auf die Länge gesehen gebe ich Britt hier uneingeschränkt recht: Er muss lernen die komplette Verantwortung für sich selbst zu übernehmen. Das ist ganz wichtig. Aber ich weiß auch aus eigener Erfahrung, dass das eben ein Lernprozess war. Und ich war damals auch dankbar, dass mir der ein oder andere mal einen kleinen Schubser in die richtige Richtung gegeben hat oder dass mir meine Ex-Frau (ja, die, die ich so unglaublich verletzt habe und von der ich mich dann auch noch trennte) auch den ein oder anderen Tipp / Hinweis gab, was sie an meiner Stelle in unterschiedlichen Situationen jetzt tun würde.

    Sie hätte damals auch sagen können: "Dein Problem, du hast gesoffen und dich von mir getrennt". Ich hätte auch verstanden und akzeptiert. Nein, sie mir mindestens zwei mal sehr geholfen als ich in einer sehr verzweifelten Situation war. Also, es ist nicht alles schwarz /weiß. Du musst Deinen Weg finden, er den seinen. Und für Dich ist es einfach wichtig (Achtung ich wiederhole mich),dass Du Dich damit wohl fühlst. Und dass Du weißt, wann Du notfalls die Reißleine ziehen musst.

    LG
    gerchla


  • Hallo Britt!
    Er kriegt von mir den Arschtritt, wenn er wieder anfängt den Tag zu verschlafen. Das geht in meinen Augen nicht. Ich habe einen geregelten Tagesablauf und das erwarte ich auch von ihm. Dazu gehört, dass er tagsüber was macht und nachts schläft.
    Das war ein Problem in der Zeit vor der Klinik. Da hatte er gar keinen Rythmus und das akzeptier ich nicht mehr.
    Sonst wäre ich ja wieder beim Thema Kontrolle und Vorschriften.

    LG Tinka

    Ok, dann habe ich etwas falsch verstanden und trotzdem:
    Warum ERWARTEST du von ihm, dass er den gleichen geregelten Tagesablauf wie du hast? Gerade in der Anfangszeit der Nüchternheit ist jeder Alkoholiker stark mit sich selbst beschäftigt. Selbstfürsorge und gesunder Egoismus stehen da ganz oben.
    Was soll er denn tagsüber machen, was DU akzeptierst und damit DU zufrieden bist? Deine Erwartungen beinhalten automatisch Kontrolle und Vorschriften. Ständig Erwartungen erfüllen müssen haben mein eigenes Ich behindert..u.a. ein Grund, warum ich trank.
    LG Britt

    ~ bevör ik mi nu opregen deed, is dat mi lever egaal ~

  • Er hat sich eine große to do Liste erstellt, mit Dingen, die liegengeblieben sind und die er jetzt abarbeitet. (Er hat sich diese Liste selbst gemacht, das wollte ich nur noch mal klarstellen, hier wird ja einiges falsch verstanden).
    Man kann die meisten Dinge halt nur tagsüber regeln... Banken, Versicherungen, Werkstatt für Inspektion usw.

    Daher braucht er einen Tagesablauf.
    Es ist kein Problem, wenn er länger schläft (er muss nicht mit mir halb 6 aufstehen).
    In der letzten Zeit war es aber so, dass er nächtelang wach war und den kompletten Tag geschlafen hat.
    Das führte dazu, dass ich auch nicht schlafen konnte und das ist nicht Sinn der Sache. Etwas Rücksicht erwarte ich schon.
    Und ich denke nicht, dass das sein gesunder Egoismus ist. Denn wenn ich das so hinnehme, könnte ich alles andere auch so hinnehmen.

    Man kann nicht nur schwarz oder weiß sehen.
    Er kann von mir aus bis mittags schlafen, das ist mir egal, aber ich möchte diesen verdrehten Tages/Nachtablauf nicht mehr.
    Und da erwarte ich einfach Rücksicht (wenn er wach ist, sind alle wach). Oder ist das zu viel verlangt?

    Das klingt für mich, als ob seine Selbstfürsorge und sein gesunder Egoismus ganz oben stehen.
    Nein! Denn wenn ich alles akzeptiere, was er tut und er nur das tut, was ihm gefällt, dann mach ich doch genau das, wo mir alle abraten. Der gesunde Mittelweg wäre ne Lösung. Und da muss er, sowie auch ich, Kompromisse machen.

  • Ja, das ist so. Es geht nicht nur um ihn. Eine Beziehung ist ein beiderseitige Sache (auch wenns scheitert übrgens). Also man kann schon von ihm verlangen, das er auch da seine Verantwortung übernimmt, allerdings natürlich auch in dem Mass, wie er grade kann. Am Anfang sind die Nerven halt auch dünn, er ist wackelig, wie Du selbst ja auch schon festgestellt hast. Bis er wieder voll belastbar ist, das dauert, und manche finden auch nie wieder zur alten Form zurück. Alkohol ist definitiv ein Zellgift und manches ging auch nur mit Doping.

    Struktur und Tagesablauf muss er auch in einer stationären Therapie einhalten, und in einer ambulanten muss er pünktlich sein und sich ebenfalls an Abmachungen halten. Trotzdem muss er natürlich auch den Raum finden, um sich zu stabilisieren und sich mit sich selbst auseinanderzusetzen, das ist für ihn auch eine neue Situation jetzt.

    Gesundes Mittelmaß, ein sehr gutes Stichwort, und genau etwas, was Süchtigen ja fehlt. Vor ein Paar Tagen hast Du ja auch von dem Übermotivierten geschrieben, was er da plötzlich hatte..von einem Extrem ins Andere. Kenne ich.

    Die Zwickmühle, in der einer dann stecken kann (und der ist freiwillig in Therapie gegangen), ist für mein Empfinden hier ganz gut erkennbar (was aus ihm momentan geworden ist, weiss ich nicht):

    https://alkoholforum.de//index.php?topic=2127.0

  • Ja der geregelte Tagesablauf in der Reha ist ein gutes Stichwort. Auch in der Entzugsklinik ging das ganz hervorragend, dass er nachts geschlafen hat, weil er tagsüber Termine hatte.

    Vor dem Klinikaufenthalt war ich nervlich am Ende, weil ich gearbeitet hab, alles im Haushalt,einkaufen, kochen, putzen, nebenbei noch mein kranker Vater... weil bei ihm nichts mehr ging.
    Da er nachts nicht geschlafen hat (verbunden mit jeder Menge Lärm) hab ich auch nicht geschlafen. Und das ist auf Dauer die Hölle. Von daher sag ich ihm ganz klar, dass ich das auf diese Weise nicht akzeptiere.
    Und Das hat in meinen Augen nichts mit Vorschriften zu tun


  • Das klingt für mich, als ob seine Selbstfürsorge und sein gesunder Egoismus ganz oben stehen.
    Nein! Denn wenn ich alles akzeptiere, was er tut und er nur das tut, was ihm gefällt, dann mach ich doch genau das, wo mir alle abraten. Der gesunde Mittelweg wäre ne Lösung. Und da muss er, sowie auch ich, Kompromisse machen.

    Ich weiß nicht genau, ob er/Du/Ihr Beide überhaupt wisst bzw. Euch darüber im Klaren seid, was "gesunder Egoismus" eigentlich bedeutet.
    Das, was ich bei Dir so rauslese, ist purer Egoismus - das hat mit "gesund" nix zu tun. Da ist nur das Deckmäntelchen "Ich muss doch die To-do-Liste abarbeiten" …

    Du hast schon recht: Das Leben besteht zum größten Teil aus Kompromissen. Aber "gesunder" Egoismus bedeutet, in Situationen, die mir und meiner Gesundheit/Abstinenz gefährlich werden können, an mich zu denken und dann z.Bsp. eben mal NEIN zu sagen. Es bedeutet nicht, ständig auf Kosten Anderer mein Ding zu machen, nur weil es mir so gefällt.
    Aber dazu habe ich HIER mal meine Gedanken aufgeschrieben.

    Unabhängig davon finde ich es gut, dass er weiter am Ball bleibt und Du ihn unterstützt. Und ihm dabei aber auch Grenzen aufzeigst und auch an Dich und Dein Wohlergehen denkst.

    44.

    Es rettet uns kein höh’res Wesen,

    kein Gott, kein Kaiser noch Tribun

    Uns aus dem Elend zu erlösen

    können wir nur selber tun!

  • Dein gesunder Egoismus wäre es übrigens auch, darüber nachzudenken, was Du tun kannst, um selbst nicht mit einem Rückfall von ihm konfrontiert zu werden. Weil das Deinem Wohlbefinden ja auch schaden würde (sonst würdest Du ja nicht hoffen, die Beziehung zu retten)

    Also Du willst ja auch nicht mit dem Hintern einreissen, was Du mit den Händen mühsam zu erhalten versuchst. Sprich Deine Ansprüche an ihn müssen natürlich auch der Situation angemessen sein, weil Du selbst gar nichts davon hast, wenn Du ihn überforderst. Das wäre natürlich seine Verantwortung (und seine falsche Entscheidung, weil es für ihn nichts verbessern würde), wenn er deswegen zum Glas greift, aber Du hättest den Schaden ja trotzdem mit.

    Man kann das durchaus als sportliche Herausforderung sehen, was da passiert.

  • Danke Greenfox für den Link. Habe das alles mal überflogen, werde es aber in Ruhe nochmal lesen.

    Ansonsten danke ich euch allen für eure Meinungen und Tipps (auch wenn ich einige Dinge anders sehe, aber da muss ich meinen/bzw müssen wir unseren Weg finden.)

    Die Sache mit dem Überfordern... Da habe ich lange drüber nachgedacht. Ihr könnt euch zum Teil viel besser in seine Lage versetzen, weil ihr das selbst mitgemacht habt und wisst, wie man sich fühlt auf dem Weg, trocken zu werden.
    Ich kann das nicht so gut, weil ich vieles nicht nachvollziehen kann, ich kenne es einfach nicht aus eigener Erfahrung.
    Aber genau deswegen habe ich die Berichte hier und auch eure Antworten so interessiert gelesen.
    Ich versuche den Mittelweg. Ich möchte ihn nicht überfordern, ich möchte ihn aber auch nicht in Watte packen, sondern einfach ganz normal behandeln.
    Und ich möchte mich selbst schützen und dazu gehört, dass ich Dinge anspreche, die mir nicht gut tun.
    Das ist im Übrigen auch sein gutes Recht, ich erwarte sogar von ihm, dass er mir das sagt.

    Ja es ist alles nicht einfach. Ein paar Tage Euphorie, dann ein Loch und keine Lust zu nichts... Damit muss ich auch erstmal umgehen können.
    Ich finde es im Übrigen gut, wenn er sich seine Pausen und Auszeiten nimmt (das ist extrem wichtig), ich nehme mir diese Zeiten auch.

    Ich werde das alles nochmal lesen und mir Gedanken darüber machen.
    Aber ich nehme schon viele Sachen an, die ihr so schreibt, gerade weil ich versuche zu verstehen, was in ihm vorgeht.

    Es ist für mich gerade wirklich Neuland und ich bin mir sicher, dass ich in diesem Prozess nicht auf der Strecke bleiben will. Ich lern aber gerade sehr viel über mich.
    - Wo kann ich unterstützen?
    - Was kann ich geben und wie gehts mir damit?
    - Wo sind meine Grenzen und wie gehe ich damit um?
    - Wie geht es mir damit, wenn es ihm schlecht geht und was tu ich, damit es MIR besser geht, um ihm keine Vorwürfe zu machen...

    Das sind momentan so meine Gedanken. Kann natürlich sein, dass der eine oder andere als sehr egoistisch bezeichnet.
    Es waren auf jeden Fall viele Informationen heute und gestern, über die ich mal ganz in Ruhe nachdenke...
    Danke!

  • Zitat

    Ihr könnt euch zum Teil viel besser in seine Lage versetzen, weil ihr das selbst mitgemacht habt und wisst, wie man sich fühlt auf dem Weg, trocken zu werden.
    Ich kann das nicht so gut, weil ich vieles nicht nachvollziehen kann, ich kenne es einfach nicht aus eigener Erfahrung.

    Das ist auch mit ein Grund, warum ich den Leuten in Krankenhausgesprächen (ich gehe des Öfteren auf Entgiftungsstationen, um dort mit Patienten zu sprechen - offiziell, um meinen Selbsthilfeverein vorzustellen, hauptsächlich aber, um ihnen etwas darüber zu erzählen, was und wozu SHG überhaupt sind) rate, SHG zu besuchen: weil dort Menschen sind, die dieselben Probleme haben/hatten und demzufolge WISSEN, wovon man redet. Die das nachvollziehen können. Ein Nicht-Alkoholiker kann einfach nicht nachvollziehen, wenn man von "Suchtdruck" oder Entzugserscheinungen redet. Und wie oft habe ich damals gehört "Hör doch einfach auf! Trink weniger!" Wenn das so einfach wäre, gäbe es keine Entzugskliniken etc.
    Deswegenfinde ich es auch so gut, wenn sich Angehörige in Foren wie diesem informieren und austauschen oder auch mal bei uns in der realen SHG sehen lassen.

    Zitat

    Das sind momentan so meine Gedanken. Kann natürlich sein, dass der eine oder andere als sehr egoistisch bezeichnet.

    Womit wir wieder beim Thema "gesunder Egoismus" wären: Um Anderen helfen zu können, musst Du zuerst zusehen, dass es Dir gutgeht.

    Es rettet uns kein höh’res Wesen,

    kein Gott, kein Kaiser noch Tribun

    Uns aus dem Elend zu erlösen

    können wir nur selber tun!


  • Ich versuche den Mittelweg. Ich möchte ihn nicht überfordern, ich möchte ihn aber auch nicht in Watte packen, sondern einfach ganz normal behandeln.
    Und ich möchte mich selbst schützen und dazu gehört, dass ich Dinge anspreche, die mir nicht gut tun.
    Das ist im Übrigen auch sein gutes Recht, ich erwarte sogar von ihm, dass er mir das sagt.

    Meine ganz persönliche Meinung:
    es gibt in Beziehungen nicht so viele absolute Wahrheiten und auch nicht so viel, was immer und ewig so bleibt. Wir haben in 32 Jahren bestimmt mehrere Leben gelebt, Berufe, Freundeskreise, Wohnorte und den Lebensstil gewechselt. Und sind älter geworden.
    Wichtig ist für uns Reden, immer wieder ausdiskutieren, streiten, aber auch sich wieder einigen wie es jetzt ist und wie es weitergeht. Verhandlungssache und konkrete Abmachungen im Grunde. Aber weniger Erwartungen, denn erwarten kann man nun mal viel, obs erfüllt wird, ist eine andere Sache. Wenn der Andere den Erwartungen nicht zugestimmt hat, Pech.

    Was das in Watte einpacken angeht: ich habe nach drei Monaten, statt in eine Langzeittherapie zu gehen, die ich beantragt hatte, eine Führungsposition in einer internationalen Firma angenommen, weil ich Schulden aus meiner verkorksten Vergangenheit hatte, die mich in meiner Trockenheit natürlich auch bedrückt haben, und gesehen habe, das ist die Gelegenheit das endlich mal abzubezahlen. Ein Freiheitsgrad. Das war eiskaltes Wasser und ich bin nach zwei Jahren auch wieder (selbst) gegangen, weil es mir zu viel wurde, aber es hatte seinen Zweck da auch erfüllt.
    Und ich musste da natürlich sehr darauf aufpassen, dass ich mich nicht überfordere, aber ich habe mich zumindest gefordert. Und natürlich muss man seine Grenzen auch mal überschreiten, um sie auszudehnen, aber nicht so weit, dass Schäden zurückbleiben.

    Ja, und als normaler Mensch wollte ich übrigens auch behandelt werden. Watte war nicht meins. Trotzdem war ich stellenweise ziemlich empfindlich, das kannte ich selbst nicht von mir.

    Wie gesagt, so ist das bei mir. Und es ist individuell. Wo die Grenzen Deines Partners sind, muss er Dir sagen und wahrscheinlich er selbst überhaupt mal herausfinden. Und damit meine ich nicht nur die Grenzen seiner Komfortzone oder seiner Lustlosigkeit, sondern die Frage wo es kritisch wird.

    Und natürlich bist Du immer noch selbst dabei, herauszufinden, ob das für Dich Zukunft hat.

    Mir gefällt das, wie Du das angehst.

  • Weiß du liebe Tinka, mir geht deine Geschichte nicht aus dem Kopf und ich möchte dir nochmal einige Gedanken dazu da lassen.
    Vielleicht hast du meinen Thread ja schon gelesen. Ich schreibe dir also aus der Sicht eines Alkoholikers mit Therapieerfahrung. Du schreibst ja selber, dass du nicht nachvollziehen kannst, wie ein suchtkranker Mensch so tickt. Suchttherapeuten und "Profis" in SHG können dies. Dein Partner ist nicht nur Alkoholiker, sondern leidet auch an Depressionen.
    Was war zuerst da „Henne oder „Ei“ ?
    Wie dem auch sei, eine ungute Kombination, die förmlich nach Hilfe schreit.
    Was mir in deinen Posts auffällt ist, dass du viele (versteckte) „DU“ Botschaften verwendest.
    „DU“-Botschaften verletzen. Mein Mann spricht auch so mit mir.
    Ich habe immer das Gefühl, er wertet mich damit ab. DU-Botschaften sind moralische Vorwürfe, ich fühle mich angegriffen und reagier(t)e dementsprechend. Entweder mit Gegenangriff oder ich fraß meine Gefühle in mich rein und/oder trank. Also weiter in die nächste Eskalationsrunde. In der Therapie hörte ich dann das erste Mal von empathieauslösenden „gewaltfreien“ ICH-Botschaften. Ich habe gelernt, meine Bedürfnisse, Wünsche und Gefühle zu spüren und in Worte zu fassen. Will sagen: heute bin ich in der Lage, ein Verhalten, dass mich stört, möglichst neutral, konkret und ohne irgendeine Bewertung, Erwartung oder Drohung an mein Gegenüber zu kommunizieren.
    Hier mal ein Beispiel: Du schreibst u.a.:

    Zitat

    Entweder du lässt dich einweisen oder ich zieh aus. Und das meinte ich absolut ernst… Ich hab ihn gestern in den Hintern getreten, dass wir die Anträge fertigmachen….Da er nachts nicht geschlafen hat (verbunden mit jeder Menge Lärm) hab ich auch nicht geschlafen. Und das ist auf Dauer die Hölle. Von daher sag ich ihm ganz klar, dass ich das auf diese Weise nicht akzeptiere.


    Diese ICH-Formulierungen nehmen Konfliktpotenzial heraus:
    ...Schatz, ICH mache mir Sorgen um dich…ICH habe Angst…ICH kann nicht schlafen, wenn es so laut ist….ICH ärgere mich über…., das nimmt viel von meiner Energie….ICH wünsche mir...MIR ist aufgefallen.., ICH bin enttäuscht…

    Du schreibst außerdem:

    Zitat

    Er war auch soweit, dass er in eine stationäre Weiterbehandlung wollte. Für mich wäre das die beste Option, dann hab ich noch einige Wochen für mich. In den letzten 3 Wochen habe ich gemerkt, dass ich sehr gut allein sein kann und das tat mir wirklich gut….Ich möchte einfach wieder leben, ohne mir Gedanken zu machen, wie es ihm geht und wie viel er getrunken hat…Er sagte dann nur: Ja, du hast Recht und außerdem habe ich verstanden, dass du diese Zeit für dich brauchst. Sehr gut, da ist wohl doch was angekommen bei ihm. Ich brauch Zeit,um mir klarzuwerden, was da eigentlich noch an Gefühlen ist. Und welche es sind. Ich hatte wirklich die Hoffnung, dass es jetzt schnell geht und ich in den Monaten, wo er weg ist, Zeit hab, meine Gedanken und Gefühle zu ordnen. Ich möchte nicht mehr für ihn denken, für ihn entscheiden oder ihm vorschreiben, was er zu machen hat.


    Ganz wunderbare ICH-Botschaften! Hast du dies genauso so ehrlich auch deinem Partner gesagt?
    und (ist nur mein Gedanke): möchtest du denn nicht am liebsten ohne ihn leben?
    Noch etwas zu den Therapie-Themen Selbstfürsorge und gesunder Egoismus. Mein Mantra:

    ICH tue alles für mein suchtfreies Leben – für mich ! – nicht gegen jemanden !
    Meine Abstinenz ist das Wichtigste in meinem Leben !

    Der goldene Mittelweg wäre optimal, aber es gibt Dinge, die sind für mich nicht verhandelbar.
    So, jetzt gehe ich aber „aus den Köpfen anderer“ (Zitat von Greenfox). wikende091

    Bleibt oder werdet gesund!
    Britt

    ~ bevör ik mi nu opregen deed, is dat mi lever egaal ~

  • Hallo Britt,

    ich musste das erstmal sacken lassen. Als ich deine Antwort das erste Mal gelesen habe, war ich sauer. Aber ich wollte das mit dem Gefühl nicht kommentieren.

    Bei mir kam das mal wieder sehr vorwurfsvoll an. "Du sendest zu viele Du-Botschaften, versuch es doch mal mit Ich-Botschaften".
    Ja Ich-Botschaften nehmen Konfliktpotenzial, das ist richtig.
    Diese Zeit, als ich nicht schlafen konnte, weil er sein Ding durchgezogen hat und Tag und Nacht durchgesoffen hat, da war er überhaupt nicht erreichbar.
    Es war ihm egal, weil er in seiner eigenen Welt lebte.
    Und für mich gab es zu dem Zeitpunkt die Option Ich-Botschaft nicht mehr.
    Wenn man wochenlang nicht schläfst, einen Job hat, einen schwerkranken Vater und den Alltag komplett allein bewältigen muss, dann kommt man doch irgendwann an seine Grenzen und mir war es in dem Moment völlig egal, ob ich ihn mit meinen Du-Botschaften verletze.

    Jetzt, nach der Entgiftung, nach seinem Neuanfang, sehen unsere Gespräche ganz anders aus. Ich habe ihm erzählt, wie ich mich die letzte Zeit gefühlt hab, ohne Vorwürfe, ich bin da bei mir geblieben. Für ihn war es ein Schock, weil er gar nicht mehr wusste, was er gemacht hat.

    Und deine Frage, ob ich nicht eigentlich lieber ohne ihn leben will...
    Mein erster Gedanke war: Was nimmt sie sich da raus? Wenn ich das wollte, wäre ich dann jetzt noch da?

    Mein Gedanke nach dem Nachdenken: Nein, ich will nicht ohne ihn leben.... Oder anders gesagt: Ich möchte uns die Chance geben. Für mich sind folgende Punkte wichtig:
    - Er hat von sich aus gesagt, so geht es nicht weiter (nicht durch meinen Druck)
    - Er ist freiwillig zum Entzug gegangen .(klar hab ich ihn in gewisser Weise geschubst, aber wenn ER nicht gewollt hätte, hätte ich da nichts machen können.)
    - Er hat beim Entzug viele andere Betroffene gesehen und zu mir gesagt "So will ich nicht enden"
    - Er tut gerade alles dafür, ein neues Leben zu beginnen und trinkt nicht mehr (ich weiß, dass es erst ein paar Wochen sind... Aber jeder hat mal angefangen)
    - Er möchte die Reha machen, weil er was für sich tun möchte und wirklich aus dem Strudel raus will.

    Ich habe ihm gesagt, wenn er es ernst meint, kriegt er jede Unterstützung von mir.
    Aber ich habe auch gesagt, dass ich nicht weiß, wie sich das alles entwickelt. Ich freu mich auf die Zeit, wenn er zur Reha ist, auf die Zeit alleine (das hat nichts damit zu tun, dass ich die Beziehung abgeschrieben hab, sondern damit, dass auch mir diese Auszeit einfach gut tut.)

    Und es wird sich rausstellen, wie wir uns entwickeln. Ich habe oft hier gelesen, dass einige Beziehungen zerbrochen sind, NACH der Therapie vom Betroffenen. Das kann bei uns auch so sein, von seiner oder von meiner Seite.
    Aber es bringt nichts, dass ich mich jetzt verrückt mache, was passiert bei der Therapie, wie wird er such verändern? Lernt er vielleicht ne andere kennen?
    Alles Optionen, die möglich sind, daran denke ich nicht.
    Ich unterstütz ihn und bin bereit, daran zu arbeiten, dass wir eine weitere Chance haben. Mehr kann ich nicht tun.

    Das klingt kalt und so, als wäre mir egal, was danach passiert... Das stimmt nicht. Ich bin nur realistisch. Es bringt keinem was, wenn ich anfange zu klammern und ihm die Luft zum atmen nehme. Wenn wir ne Chance haben, super! Dafür gebe ich sehr viel, nicht alles, denn ich möchte mich nicht selbst verlieren.

Jetzt mitmachen!

Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!