• Guten Tag!

    Nachdem ich in diesem Forum ein paar Tage mitgelesen habe, möchte ich mich vorstellen: ich bin 62 Jahre alt und habe ein Problem mit meinem Alkoholkonsum. Dieses Problem existiert mindestens seit ich mit Anfang zwanzig mit meinem Studium nicht klar kam und es schließlich abbrach. Damals entwickelte ich mich zum Problemtrinker: die Flasche Wein am Abend half mir, meine Probleme weit von mir zu schieben, natürlich immer nur temporär: nach dem alkoholbegünstigten Verdrängen kam natürlich irgendwann das böse Erwachen. Inzwischen sind viele Jahre vergangen und die Probleme wurden andere, wurden mit der Zeit bedeutungsloser und das was mir einmal als Problemlösung erschien, wurde selber zum Problem.

    Ein paar Worte zu meinem aktuellen Alkoholkonsum: ich führe seit 14 Jahren ein Doppelleben. Seit dieser Zeit lebe ich nämlich in einer glücklichen Fernbeziehung (nachdem ich vorher die allermeiste Zeit als Single gelebt hatte). Wir leben 230km voneinander entfernt und sehen uns an vielen (aber nicht allen) Wochenenden, in den Urlauben, über Weihnachten usw. Wenn ich alleine lebe, kehre ich immer wieder zu meinem Alkoholkonsum aus der Single-Phase zurück, d.h. z.B. in der Woche eine Flasche Wein pro Tag, an (Single-)Wochenenden auch gerne mehr (bis zu zwei Flaschen). Variationen sind dabei möglich: Craftbier, zwischendurch Jägermeister, u.ä. Zwar gab es Versuche hier einzuschränken, wenn ich z.B. in der Woche morgens vor der Arbeit schwimmen ging, blieb ich den Abend vorher nüchtern, oder auch während der Fastenzeit (dazu später mehr).

    Warum sprach ich von Doppelleben? Weil mein Alkoholkonsum ganz anders aussieht, wenn ich mit meiner Freundin zusammen bin. Man muss dazu sagen, dass ihr (verstorbener) Vater Alkoholiker war und die Familie darunter zu leiden hatte, das hat sie stark geprägt und ihr eine Abwehrhaltung gegen Alkohol eingeimpft. Trotzdem hat sie mir nie den Alkohol „verboten“, im Gegenteil: während unserer Beziehung ist sie selber von einer Nichttrinkerin zu einer Gelegenheitstrinkerin geworden, d.h. hin und wieder gönnt sie sich ein Radler oder Aperol-Spritz, wobei ich glaube, dass sie sie mehr wegen des Geschmacks (Zucker!) als wegen des Alkohols trinkt, jedenfalls kann ich ihr um 8 Uhr ein Radler auf den Tisch stellen und um 9 ist es immer noch unangerührt: ich muss immer darüber lachen, bei mir wäre es unvorstellbar! Jedenfalls passe ich mich ihr in meinem Trinkverhalten an, wenn wir zusammen sind: zuhause trinke ich eine Flasche Bier, wenns hoch kommt zwei, wenn wir ausgehen trinke ich schonmal ein Glas Wein, eine Zeitlang tranken wir zusammen Cocktails, es blieb dann in der Regel bei einem. Ihre Familie, mit der wir mehr zusammen sind, als mit meiner (die viel Alkohol-affiner ist), trinkt auch kaum, und im gemeinsamen Freundeskreis wird schonmal eine Flasche Wein auf- und leergemacht, die aber dann zu zweit bis viert geteilt wird und nicht alleine getrunken.

    Ich kann mich also sehr gut an eine Nicht- oder Wenigtrinker-Umgebung anpassen: aber! Dies geschieht, weil ich erstens sowieso ein anpassungswilliger Mensch bin und vor allem, weil ich mir nicht die Blöße geben will, zu offenbaren, dass ich ein Problem mit dem Alkohol haben könnte, indem ich mehr trinke als die anderen. Aber das Verlangen ist oft da: vor allem dann, wenn wir bei Freunden übernachten, oder diese bei uns, und wir trinken abends Wein, in Mengen, die mir eigentlich viel zu gering sind. Dann schaue und prüfe ich: wieviel hat der andere im Glas? wie schnell trinkt er? darf ich jetzt schon mein Glas austrinken? sollte ich auf die Frage, ob man noch eine Flasche holen soll mit JAAA! antworten oder lieber mit einem kleinen schüchternen nein, weil es mich in einem falschen (eigentlich im richtigen) Licht dastehen lassen könnte?

    Dieses Verhaltens, also nach außen wie ein kontrollierter Trinker zu erscheinen, nach innen ein großes Verlangen nach mehr zu haben, bin ich mir erst in letzter Zeit bewußt geworden. Ich habe in den letzten zwei Jahren schon zweimal versucht (immer zur Fastenzeit), das Trinken auf Null zu reduzieren (Ausnahmen habe ich mir aber auch während der Fastenzeit immer gestattet, z.B. Feste) und nach der Fastenzeit zu einem Zustand kontrollierten Trinkens zu kommen, d.h. auch an den Single-Tagen so zu trinken wie bei meiner Freundin oder den Freunden. Es gelang mir aber nicht: spätestens im Sommer oder Herbst war ich wieder beim alten Zustand.

    Seit 15 Tagen bin ich jetzt wieder nüchtern und während dieser Fastenzeit ist mir klar geworden, dass mein Weg nur sein kann: ganz weg vom Alkohol. Keine Ausnahmen während der Fastenzeit und kein gemäßigtes Trinken danach, sondern Null für immer. Beweis, dass es bei mir nicht anders geht, sind neben den regelmäßigen Rückfällen während des Alleinseins eben auch die beschriebenen Situationen „gemäßigten Trinkens“ im Bekanntenkreis, die für mich immer Verzichtsituationen sind. Aber ich möchte nicht gerne auf etwas verzichten, auf das ich ein Verlangen habe! Also muss ich dafür sorgen, dass sich das Verlangen gar nicht einstellt.

    Meine Freundin unterstützt mich sehr, worüber ich sehr glücklich bin. In den letzten Tagen habe ich ihr „reinen Wein“ eingeschenkt über das Ausmaß meiner Sucht und über meine Gefühle und mein Vorhaben. Mir zuliebe würde sie sogar auf ihre kleinen Genussdrinks verzichten, obwohl ich ihr sagte, dass es mich wahrscheinlich gar nicht stören würde, wenn hin und wieder ein kleines Radler vor ihr auf dem Tisch schal wird … Ich beschäftige mich mit dem Thema Sucht in Büchern (z.B. Catherine Gray), Podcasts (Nathalie Stüben), Blogs und eben diesem Forum und bin noch der Meinung, dass ich es ohne weitergehende Hilfe (SHG o.ä.) schaffen kann. Ich bin zuversichtlich und im Moment genieße ich das Nüchternsein geradezu.

    Ich freue mich auf den Austausch mit diesem Forum.

    Liebe Grüße, Klaus

  • Hallo Klaus,

    herzlich Willkommen bei uns im Forum. Schön, dass Du Dich dazu entschlossen hast Dich hier zu öffnen und aktiv mit uns zu kommunizieren.

    Bevor ich Dir meine Gedanken schreibe, will ich mich kurz vorstellen:

    Ich bin 50 Jahre alt, Alkoholiker und lebe jetzt schon lange ohne Alkohol. Davor trank ich weit über 10 Jahre abhängig, die letzten paar Jahre davon begann ich teilweise schon morgens und es wurden extreme Mengen. Die Flasche Wein von der Du sprichst war für mich am Ende oft noch das AdOn am Ende eines bereits alkoholreichen Tages. Trotz dieser Mengen hatte ich Familie (Frau, 2 Kinder) und einen guten Job und funktionierte bist zum Schluss. Und, was vielleicht auch noch wichtig für Dich ist um Dir ein Bild von mir machen zu können: Ich trank fast meine ganze Alkoholikerzeit komplett heimlich (vielleicht die ersten 2-3 Jahre nicht). Also auch meine Frau und meine Kinder wussten bis zum Ende nichts von meiiner Sucht. Wie das geht weiß ich auch nicht. Ich war sicher ein begnadeter Lügner und Betrüger und ich hatte auch ein ausgprägtes Doppelleben. Quasi wie eine zweite Existenz, eine Parallelwelt (inkl. einer geheimen Unterkunft wo ich alleine trinken konnte). Du siehst, mit Doppelleben kenne ich mich aus und heute muss ich sagen: Es ist mit das Schlimmste was man machen kann.

    Zu Deiner Situation:

    Ich möchte Dich dafür beglückwünschen, dass Du Deiner Freundin "reinen Wein" ;D eingeschenkt hast. Und zu Deiner Freundin möchte ich Dich auch noch gleich beglückwünschen. Bessere Startbedingungen könntest erst mal gar nicht haben. Da ist also jemand, dem Du Dich offen anvertrauen konntest und dieser Mensch ist auch noch bereit Dich zu unterstützen. Und es handelt sich auch noch um Deine Freundin die, wie ich mal annehme, eine wahnsinnig wichtige Rolle in Deinem Leben spielt.

    Start also gut. Jetzt kommt es darauf an, dass Du das nicht vergeigst. Grundregel aus meiner Sicht: Absolute Ehrlichkeit, Dir gegenüber und jetzt natürlich auch Deiner Freundin gegenüber. Dieses Outing, dass Du ja bei ihr bereits vollzogen hast, halte ich für enorm wichtig und für einen unheimlich wichtigen und richtigen Schritt. Wenn es noch weitere wichtige Menschen in Deinem Leben gibt (z. B. Geschwister, gute Freunde, etc.) dann oute Dich auch da. Es muss nicht Hinz und Kunz wissen, die Dir nahestehenden Personen sollten aber schon wissen. Das ist kein einfacher Schritt, aber ein enorm wichtiger. Damit gestehtst Du Dir selbst nämlich bedingungslos ein, dass Du Alkoholiker bist und schließt gleichzeitig ein Hintertürchen. Diese Ehrlichkeit, also das sich selbst eingestehen ein Alkoholiker zu sein, ist m. E. eine der wichtigsten Grundvoraussetzungen um diese Sucht überwinden zu können.

    Darüber hinaus bin ich persönlich der Meinung, dass "nur" nicht mehr trinken auf Dauer nicht ausreichen wird. Jedenfalls führt das nicht zu einem zufriedenen Leben ohne Alkohol, aus meiner ganz persönlichen Sicht. Jetzt, am Anfang, ist es erst mal wichtig, dass Du einfach nicht mehr trinkst. Da bist Du ja schon bei Tag 15 (meinen Glückwunsch) angelangt. Super, damit bist Du körperlich durch und kannst Dich um die eigentliche Sucht, also Deine Psyche, kümmern.

    Und genau das solltest Du unbedingt tun. Auf welche Art und Weise Du das tust, das musst Du selbst heraus finden. Wie Du sicher gelesen hast, machen viele eine Therapie, stationär oder ambulant. Anderen "reichte" es aus einfach "nur" regelmäßig eine SHG zu besuchen. Ich z. B. hatte eine "Mischung". Ich ging am Anfang quasi täglich in meine SHG, merkte dann im Laufe der Wochen, dass ich was anderes, dass ich "mehr" brauche. So gings dann zum Psychologen und als ich auch hier nicht weiter kam ging ich letztlich dann einen ganz anderen Weg. Ich erinnerte mich an einen Mönch, den ich Jahre vorher mal kennen gelernt hatte und fragte bei ihm nach, ob er bereit wäre mich zu begleiten. Das hatte damals nichts mit Glauben oder Religion zu tun, es ging einfach "nur" darum, dass ich in ihm einen Menschen sah, von dem ich glaubte, dass ich mich ihm gegenüber öffnen könnte. Und so kam es dann tatsächlich auch und viele Gespräche später war ich dann tatsächlich aus dem Gröbsten raus. Was ich damit sagen will: Das war sicher kein klassischer Weg, den ich da gegangen bin. Aber es war mein Weg. Und so muss jeder, das ist jedenfalls meine Meinung, seinen eigenen Weg finden. Ob der nun ein ganz klassischer ist oder so einer wie bei mir, das muss jeder selbst heraus finden. Wichtig aus meiner Sicht ist nur, dass man sich mit seiner Krankheit beschäftigt. Ich habe das Aufarbeiten (wieso weshalb warum und wo will ich eigentlich noch mit meinem Leben hin) als einen Schlüssel zur Überwindung der Sucht empfunden. Und dazu brauchte ich eben die von mir angesprochene Hilfe.

    Vielleicht reicht es Dir ja aus, dass Du Dich mit der Sucht so beschäftigst, wie Du das gerade tust. Vielleicht reicht Dir der Austausch hier, das Lesen, die Podcasts.... Ich möchte das nicht ausschließen. Wichtig ist aus meiner Sicht nur, dass Du wachsam bist, in Dich hinein hörst und dann ehrlich zu Dir selbst bist. Und wenn Du nämlich merkst, da läuft was komisch, da kommen irgendwie so komische Gedanken auf, z. B. solche wie "eigentlich könnte ich ja doch mal wieder... " oder "jetzt habe ich so lange nichts mehr getrunken, vielleicht bin ich ja doch nicht...." etc, dann solltest Du einen Notfallplan haben. Sonst läufst Du Gefahr, dass es Dir so ergeht wie leider dem allergrößten Teil der Alkoholiker, die versucht haben trocken zu werden. Nämlich über einen Rückfall zurück in die Sucht zu gleiten.

    Ich wünsche Dir auf jeden Fall alles alles Gute, natürlich einen guten und offenen Austausch hier im Forum. Schön dass Du hier bist.

    LG
    gerchla

  • Hallo gerchla,

    vielen lieben Dank für Deine warmen und aufmunternden Begrüßungsworte! Und: ja mit meiner Freundin habe ich sehr großes Glück! :D Wobei: es war ihr eigentlich schon immer bekannt, dass ich ein Problem mit Alkohol habe. Aber so genau wollte sie es nie wissen und ich war darüber immer froh. Ich war immer bereit darüber zu sprechen, aber auch immer froh, wenn sie nicht zu sehr nachbohrte und sie sich mit ausweichenden Auskünften zufrieden gab. Aufgrund der räumlichen Trennung war das Doppelleben also leicht für mich leicht.

    Umsomehr finde ich Fälle wie Deinen bemerkenswert (und ich habe hier schon von ähnlichen Fällen gelesen): das heimliche Trinken, während man mit Partner und Familie zusammenlebt. Das könnte ich nicht - nicht mehr, muss ich einschränkend sagen, weil ich während meiner Studien-Problem-Zeit auch alle angelogen habe. Das ist nämlich auch ein Grund, warum ich meine Trinkerei endlich in den Griff kriegen will: wenn ich in den Ruhestand gehe, wollen wir zusammenziehen (in ihrer Stadt) und dann muss Schluss sein mit diesem Doppelleben! Bis spätestens dann muss ich mich für ein Leben entschieden haben! Und es wird nicht das Trinkerleben sein, das ich bei mir zu Hause führe, weil dann mit der Beziehung Schluss ist, das weiß ich. Und es kann auch nicht das kontrollierte Trinkerleben sein, wie ich es bei und mit ihr führe, weil dann mein Verlangen nach Alkohol immer größer würde und nicht mehr (wie jetzt) bei mir zuhause, wenn ich wieder allein bin, gestillt werden könnte.

    Insofern ist Deine Vergangenheit , gerchla, wenn ich das so sagen darf :), für mich ein abschreckendes Beispiel für eine Zukunft, zu der es nicht kommen darf.

    LG
    Klaus

  • Guten Morgen Klaus,

    Zitat

    Insofern ist Deine Vergangenheit , gerchla, wenn ich das so sagen darf :), für mich ein abschreckendes Beispiel für eine Zukunft, zu der es nicht kommen darf.


    Natürlich darst Du das sagen. Das ist u. a. ein Grund dafür, warum ich hier aktiv bin. Ich schreibe hier immer ganz offen um den Betroffenen zu zeigen, dass Ehrlichkeit gegenüber sich selbst entscheidend ist für dauerhaftes Leben ohne Alkohol. Und was meine Alkoholkarriere betrifft: Wenn sie als abschreckendes Beispiel dient, dann ist das wunderbar. Sowohl hier im Forum als auch draußen im realen Leben kenne ich Geschichten von Menschen, die noch weit abschreckender sind als die meine. Schlimmer geht also immer.

    Zitat

    Das könnte ich nicht - nicht mehr, muss ich einschränkend sagen, weil ich während meiner Studien-Problem-Zeit auch alle angelogen habe.


    Da sei mal dankbar das es so ist. Als ich mit diesem Doppelleben begann, begann auch mein totaler Niedergang. Am Ende war ich körperlich stark angeschlagen und psychisch ein totales Wrack. Wenn ich zurück blicke, wundere ich manchmal selbst wie ich das alles so lange aufrecht erhalten habe können. Ich fragte mich besonders in den ersten Jahren meiner Zeit ohne Alkohol, warum ich nicht früher erkannt habe, dass mich dieses Verhalten nur in den absoluten Untergang führen konnte. Es war nüchtern darauf geblickt doch so offensichtlich. Und in den vielen Stunden des Grübelns und Nachdenkens kam mir dann irgendwann die Erkenntnis, dass ich es relativ früh gewusst habe, es aber verdrängte und die Sucht mir vorgauckelte, irgendwie wird das schon wieder werden. Was der Sucht dabei absolut in die Karten gespielt hat, war die Tatsache, dass ich heimlich trank. Denn so redete ich mir immer ein, dass ich ja "nur" heimlich aufhören muss und dann wird niemals irgendjemand etwas erfahren. Ich müsste dann auch niemanden meine ganzen Lügen und Betrügereien beichten. Somit müsste ich dann auch niemanden mit der Wahrheit verletzen und alles wird gut werden.

    Ich weiß nicht wie oft ich versucht habe heimlich aufzuhören. Es wurden immer nur Trinkpausen. Anfangs konnten die noch richtig lange sein, mehrere Wochen. Später noch ein paar Tage und die letzten Jahre ging gar nichts mehr. Trotzdem dachte ich auch da noch: Wenn Du einfach aufhörst wird alles gut, weil es weiß ja keiner was.

    Tja, dabei hatte ich schon so viel kaputt gemacht, Dinge getrieben die ich nur durch Lügen und nochmal Lügen und auf Lügen aufgebaute Lügen mühevoll verheimlichen konnte. Ich hatte überhaupt keine Chance mehr da heraus zu kommen ohne die Wahrheit auf den Tisch zu legen. Selbst wenn ich es geschafft hätte mit dem Trinken aufzuhören. Irgendwann hätte meine Frau halt mal nach unserer Lebensversicherung gefragt, die ich längst aufgelöst und verpulvert hatte. Und das ist jetzt eigentlich nur ne "Kleinigkeit" im Vergleich zu dem was ich sonst noch so getrieben habe.

    Dazu möchte ich Dir sagen:

    Zitat

    Bis spätestens dann muss ich mich für ein Leben entschieden haben! Und es wird nicht das Trinkerleben sein,


    Streiche dieses "bist spätestens" aus Deinem Hirn, aus Deinen Gedanken. Denn das ist doch letztlich sowas wie ein Hintertürchen. Denn das bedeutet ja: wenn's jetzt nicht gleich klappt, nicht so schlimm, denn dann hast Du ja immernoch Zeit bis.... Und so bleibt die Sucht und hagelt sich von Versuch zu Versuch....

    Viel besser wäre wenn Du sagst und auch denkst: JETZT ist der Zeitpunkt und jetzt ist Schluss und zwar für den Rest meines Lebens. Jetzt hast Du 16 Tage hinter Dir und jetzt gehst Du diesen Weg weiter. Was Du über das kontrollierte Trinken schreibst kann ich aus meiner eigenen Erfahrung nur bestätigen. Natürlich hatte ich diesen Weg auch mehrmals versucht. Und er hat ein paar mal auch für eine bestimmte Zeit funktioniert. Aber da ich ja bereits abhängig war, war es immer so, dass es nach der Euphorie der ersten Tage (klappt ja super!) zur Qual wurde und ich relativ schnell unter zuhilfenahme von fadenscheinigen Argumenten wieder auf mein altes Niveau kam.

    Ich denke Du hast gute Chance. Das Umfeld stimmt offenbar und ich lese bei Dir auch nicht heraus, dass Du dem Alkohol hinterher weinst. Du schreibst nichts darüber, dass Du Dir ein Leben ganz ohne überhaupt nicht vorstellen kannst. Das lese ich oft und das höre ich auch oft in persönlichen Gesprächen. Dass sich Menschen überhaupt nicht vorstellen können gar keinen Alkohol mehr trinken zu "dürfen". Wenigstens ein Glas mal, zum Anstoßen oder so. Ich frage dann immer: Und was meinst Du, dass Dir dieses eine Glas dann gibt? Was macht dieses eine Glas so wichtig, dass Du darüber Gefahr läufst wieder in den Alkoholsumpf abzugleiten oder erst gar nicht heraus zu kommen?

    Ich bekomme darauf dann i.d.R. Antworten, die ich nur dann nachvollziehen kann, wenn ich an meine eigene nasse Zeit zurück denke. Es sind dann die Antworten von Menschen, die noch nicht bereit sind, sich ehrlich und offen ihrer Sucht zu stellen.

    Und ich darf Dir versichern: Es ist überhaupt kein Problem komplett ohne Alkohol zu leben, es ist im Gegenteil einfach wunderbar und sehr befreiend. Und es gibt immer mehr Menschen, die das ganz freiwillig tun, also ohne eine Suchterkrankung im Hintergund. Sowas kann auch eine Lebenseinstellung sein. Und man muss auf nichts verzichten. Bestenfalls muss man lernen das man Dinge, von denen man dachte das man sie nur mit Alkohol tun kann (oder sie nur dann Spaß machen), genauso gut ohne tun kann. Ich möchte sogar sagen, aus fester Überzeugung und eigener Erfahrung, noch besser tun kann als mit Alkohol. Weil dann alles echt ist und auch weil man das was man tut auch wirklich selbst getan hat, bei vollem Bewusstsein und ohne den Katalysator / Stimmungsaufheller / Enthemmer / etc. Alkohol.

    Also bleibt dran. Zieh es jetzt durch. Mach Dir einen Plan was Du tust, wenn Du das Gefühl hast, Du könntest in Gefahr kommen. Manchmal ist es notwenig eine kurze kritische Zeit zu überstehen, daraus zu lernen, um dann gestärkt seinen Weg weiter gehen zu können.

    Alles Gute

    LG
    gerchla

  • Hallo gerchla,

    zunächst noch einmal: einen ganz großen Dank! Ich glaube ich spreche nicht nur in meinem, sondern auch im Namen der meisten Betroffenen, die sich hier austauschen, dass der Job den Du hier leistest und die Energie und die Zeit, die Du dafür opferst, bewundernswert sind. 44.

    Und nun zurück zu mir und Deiner letzten Antwort: Du hast einen sehr guten Blick, für unbewußte Gedankengänge, die einen immer noch fehlleiten können:


    Streiche dieses "bist spätestens" aus Deinem Hirn, aus Deinen Gedanken. Denn das ist doch letztlich sowas wie ein Hintertürchen. Denn das bedeutet ja: wenn's jetzt nicht gleich klappt, nicht so schlimm, denn dann hast Du ja immernoch Zeit bis.... Und so bleibt die Sucht und hagelt sich von Versuch zu Versuch....

    Ich - bzw. mein Unterbewußtsein - fühlen sich ertappt, Du hast vollkommen recht, dass jetzt der Zeitpunkt ist. Bewußt ist mir das auch klar, aber mein Unterbewußtsein hat wohl noch daran zu knabbern.

    Mir ist auch klar, dass der Abschied vom Alkohol möglich und für mich persönlich nötig ist. Wobei es, das muss ich auch zugeben, noch Stimmen in meinem Kopf gibt, die das infrage stellen. Z.B. bin ich Situationen aus meinem und dem gemeinsamen Leben mit meiner Freundin gedanklich durchgegangen, die ich nüchtern oder die ich alkoholisiert erlebt habe. Ich wollte mir sozusagen positive nüchterne Momente als Leitbild für eine nüchterne Zukunft vor Augen führen. Dabei stellt sich aber heraus, dass es auch schöne Momente unter Alkoholeinfluss gab und gar nicht so wenig! EIn Beispiel sagte mir meine Freundin selbst: als wir uns nach meiner (fast) alkoholfreien Fastenzeit vor 2 Jahren an einem schönen Frühlingstag mit meiner Nichte trafen und ich mir mit dieser eine Flasche Weißwein beim Essen teilte. Meine Freundin erinnert sich noch heute, wie gut ich dabei drauf war und wie gut mir der Alkohol getan habe! Und solche Beispiele gibt es mehrere. Klar - man könnte auch sagen: vielleicht wäre ich nüchtern genauso gut draufgewesen, und es war nicht der Alkohol, sondern die Sonne und die angenehme Stimmung entscheidend. Oder: erinnere dich lieber an Momente, wo dir der Alkohol nicht gut getan hat. Davon gibt es viele, aber die Erinnerung daran ist bis auf wenige Ausnahmen, wo es mir richtig dreckig ging, doch eher diffus: halt die vielen Morgen, wo ich mich aus dem Bett quälte und einen halben Tag oder länger unter den Folgen des abendlichen Besäufnisses litt. Diese verschmelzen halt in der Erinnerung zu einem großen Samstag oder Sonntag mit bematschter Birne. ;D

    Wenn ich so ins Nachdenken komme, muss ich feststellen wie wertvoll Dein Hinweis ist, einen Plan zu haben, wie man Anfechtungen und Gefährdungen widersteht und übersteht. Daran muss ich noch arbeiten.

    Bis dahin

    LG
    Klaus

  • Hallo zusammen,

    da Ihr lange nichts von mir gehört habt, wollte ich mich eigentlich schon vorgestern mal wieder melden, denn dies war der 100. Tag meiner Nüchternheit. :) Wie ist es mir seit dem letzten Post ergangen?

    Bisher bin ich immer noch überraschend gut drauf. Da ich vor allem ein Feierabend-Trinker auf dem eigenen Sofa war, könnte man meinen, eine große Gefahr müßte vom Corona-Lockdown ausgegangen sein, da man sich ja dadurch fast nur noch zuhause aufhielt und leicht auf dumme Gedanken kommen bzw. in alte Routinen zurückfallen konnte. Aber irgendwie verschwende ich daran keine Gedanken. Auch das Home Office, dass ja leicht dazu verführen kann, rückfällig zu werden (man kann länger schlafen, braucht keine Angst vor einere Fahne zu haben), änderte daran nichts.

    Eine starke Versuchung gab es bisher einmal, als ich bis 20 Uhr beruflich unter starkem Druck stand (natürlich auch im Home Office). Früher wäre ich dann danach direkt zur Flasche Wein übergegangen, um runterzukommen und zu entspannen und hinterher auch schlafen zu können. Ich hab es mir verkniffen und konnte schlecht schlafen. Ich brauche noch eine Strategie, um besser mit solchen Situationen umzugehen, darauf weist Ihr immer hin. Sport? Laut Musik hören? Die Tage hörte ich in einem Podcast, scharfe Himbeer-Bombons würden helfen. ;D

    Man darf ja jetzt auch wieder in Restaurants essen gehen. Das haben meine Freundin und ich bisher zweimal gemacht. Das eine Mal hat mir der Alkohol gar nicht gefehlt, ich hatte eine leckere Saftschorle und hab nicht an Alkohol gedacht, obwohl sie einen Aperol trank. Das andere Mal war in einem Garten-Lokal, wo viele Fahrrad-Ausflügler waren, die sich bei schönstem Sonnenschein ein (?) Bier zischten. Da kam kurz etwas Neid auf, ich weiß noch nicht, ob da nicht noch etwas schlummert, was als stärkerer „Saufdruck“ wieder ausbrechen könnte. Bisher meine ich es unter Kontrolle zu haben.

    Es wird auch wieder ein soziales Leben mit Freunden und Bekannten geben, bisher hielt mich der Lockdown davon ab, mir die Situationen auszumalen. Aber ich habe schon vor, ehrlich zu sagen, dass mein bisheriges Leben mir gezeigt hat, dass es mir viel schwerer fällt nach 1-2 Gläsern aufzuhören, als gleich das erste Glas stehen zu lassen. Die einen wissen das auch bestimmt, das sind die, die das gleiche Problem haben, aber es sich selber nicht eingestehen. Die anderen wissen es vielleicht nicht, das sind die, bei denen ich unter inneren Kämpfen nach 2 Gläsern aufgehört habe, um vor ihnen nicht als Alkoholiker dazustehen, da sie zumindest in meinen Augen selber kein Problem mit Alkohol haben. Auf jeden Fall will ich das Thema nur ansprechen oder vertiefen, wenn die Situation dazu Anlass gibt.

    Ansonsten kann ich von Glück sprechen, dass ich im Moment keine Lebensprobleme habe, die einen Griff zur Flasche herbeiführen könnten. Auch dazu brauche ich noch eine Strategie. Bisher geben mir dafür die 102 bereits bewältigten Tage eine gewisse Sicherheit. Aber auch z.B. die Erinnerung daran, dass ich unsere letzte richtige Beziehungskrise (mit Trennungsdrohung usw.), die schon einige Jahre her ist, bewußt - fast aus Trotz - ohne Alkohol durchgestanden hatte - zumindest ein persönlich erlebter Beweis, dass es geht.

    Also - ich gehe weiter den Weg, den ich eingeschlagen habe. Ich lese hier immer noch regelmäßig und bin dankbar für alle Ratschläge, die ich hier direkt oder indirekt mitbekomme.

    LG, Klaus

  • Aber ich habe schon vor, ehrlich zu sagen, dass mein bisheriges Leben mir gezeigt hat, dass es mir viel schwerer fällt nach 1-2 Gläsern aufzuhören, als gleich das erste Glas stehen zu lassen. Die einen wissen das auch bestimmt, das sind die, die das gleiche Problem haben, aber es sich selber nicht eingestehen.

    Hallo Klaus!

    Genau so war es bei mir. Nichts zu trinken ist viel schwerer als nach moderatem Konsum aufzuhören. Das nennt sich Kontrollverlust und ist ein typisches Indiz für Alkoholismus.

    Es dauerte halt ein etliche Jahre bis bei mir allmählich der Groschen fiel.

    Glückwunsch zu deinen 101 Tagen. Das ist doch schon mal ein richtig guter Anfang.

    Hab aber auf dem Schirm, dass sich das Suchtgedächtnis sicherlich mal melden wird, um dich irgendwie zum Griff zur Flasche zu bewegen.

    Und genau für diesen Moment rate ich, dir eine Strategie zurecht zu legen.

    Gruß
    Rekonvaleszent

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