Mein Freund trinkt - Bin ich wieder Co-abhängig???

  • Hallo zusammen,

    ich versuche mich kurz zu fassen, obwohl ich wahrscheinlich ein Buch über mein Leben schreiben könnte...

    Ich bin 38 Jahre alt und habe eine 11-jährige Tochter. Ich bin geschieden, da ich mich von dem Vater meiner Tochter wegen seiner Spielsucht habe scheiden lassen. Ja, ich war damals Co-abhängig. Die Erkenntnis hat sehr lange gedauert, aber ich habe es geschafft, mich davon zu lösen und meinen eigenen Weg zu gehen. Es war schwer, aber ich habe dadurch auch sehr viel an Selbstwertgefühl und Selbstbewusstsein gewonnen.

    Vor ca. 4 Jahren habe ich meinen jetzigen Lebensgefährten (ebenfalls jetzt 38 Jahre alt) kennengelernt. Im Prinzip verlief alles wie im Märchen. Nach recht kurzer Zeit bat er mich und meine Tochter bei ihm einzuziehen. Nach der Trennung von meinem damaligen Mann dachte ich, dass ich mich zu einer starken Persönlichkeit entwickelt habe. Nach meinen Erfahrungen in der Vergangenheit mit Co-Abhängigkeit und Sucht habe ich in der jetzigen Beziehung immer klar meine Meinung geäußert und mit meinem Partner offen darüber geprochen, wie ich mir meine und unsere Zukunft vorstelle, da ich nie wieder in die gleichen Verhaltensmuster verfallen wollte.

    Meine Tochter und ich sind zu ihm gezogen und wir wohnen nun längere Zeit zusammen. Mit meinem Partner harmoniere ich im Prinzip auf allen Ebenen. Wir sind eine kleine und glückliche Patchwork-Familie, da er auch einen Sohn im gleichen Alter hat, der aber nur jedes zweite Wochenende bei uns ist. Im Prinzip ein rundum tolles Leben... Ich habe recht schnell gemerkt, dass Alkohol bei meinem Partner fast immer zum Alltag gehört. Ganz lange fand ich das gar nicht bedenklich. Jetzt denke ich aber, dass er ein s.g. "funktionierender Alkoholiker" ist. Von einer gemeinsamen Freundin, die ich durch ihn kennengelernt habe, weiß ich, dass er vor unserer Zeit schon mal eine recht lange Zeit exzessiven Alkoholgenusses bzw. missbrauchs hatte. Damals war wohl Weinbrand-Cola sein Lieblingsgetränk. Jedenfalls hat er zu dieser Zeit seinen Führerschein verloren. Angeblich war er nur Beifahrer. Aber da der Fahrer betrunken war und er als Fahrzeughalter auch, war das angeblich der Grund für den Führerscheinverlust. Um den Führerschein wiederzubekommen, musste er eine MPU machen. Trotz eines Vorbereitungskurses, fand der Gutachter, dass er erst einen 12-monatigen Absitnenznachweis erbringen soll, bevor er seinen Führerschein zurückerhält. Wir waren beide total entsetzt und dachten, er hätte nur Pech gehabt mit dem Gutachter. Jetzt bin ich mir nicht mehr so sicher. Bis jetzt hat er nichts weiter unternommen, um seinen Führerschein wiederzubekommen.

    Jedenfalls ist jetzt Bier sein Lieblingsgetränk ("weil er Bier einfach mag und es ihm schmeckt"). Wie gesagt, fand ich ein oder zwei Bier, die er nach Feierabend getrunken hatte, nicht bedenklich. Wir sind beide sehr gesellig und sind oft mit Freunden zusammen und gucken auch beide gerne Fussball mit Freunden. Zu diesen Anlässen wurden dann eigentlich immer mehr als zwei Flaschen getrunken (mindestens 6 und ganz oft auch noch mehr, habe das aber nie so genau beobachtet, geschweige denn mitgezählt). Ich selbst habe bei Parties auch schon mal etwas mehr getrunken, bin mir aber sicher, dass mein Trinkverhalten unproblematisch ist. Alkohol gehört für mich nicht zwingend zum Feierabend, zum Fussball oder Wochenende.

    Soweit ich mich erinnere, hatte er nach ca. einem Jahr unserer Beziehung eine Phase, wo er an mehreren Tagen in der Woche zum Feierabend vier oder fünf Flaschen Bier getrunken hat. Ich habe ihn darauf angesprochen und gesagt, dass ich nichts gegen ein oder zwei Feierabendbier habe, aber das für mich zu viel ist und ich nicht möchte, dass er so oft angetrunken ist. Rückblickend muss ich zugeben, dass ich gar nicht sagen kann, wann der Konsum stätig gestiegen ist. Wie gesagt, harmonieren wir sonst sehr gut. Aber die Phasen, in denen er immer mehr als ein oder zwei Bier am Tag trinkt, nehmen zu und die alkoholfreien Tage ab. Letztes Jahr war es so schlimm, dass ich überlegt habe mich zu trennen. Er wird ab einem bestimmten Pegel sehr arrogant und streitsüchtig. Man muss regelrecht aufpassen, was man sagt, da ihn ein falsches Wort auf die Palme bringen kann. Bei der Diskussion, die daraus entsteht, dreht man sich im Kreis, da es den Anschein hat, als würde er das, was man zu ihm sagt gar nicht hören oder verstehen. Immer und immer wieder fängt die Diskussion von Vorne an. Ich habe allen meinen Mut zusammen genommen und mit meiner Schwiegermutter darüber gesprochen. Sie hat zu der Zeit auch gemerkt, dass er viel trinkt und hat mir gleichzeitig anvertraut, dass er schon immer recht viel Alkohol getrunken hat. Sie kennt sein arrogantes und überhebliches Verhalten, wenn er getrunken hat. Auch seine Geschwister finden wohl schon seit Jahren, dass er ein Alkoholproblem hat. Nachdem ich diesen Schock überwunden habe, habe ich ihm gesagt, dass ich mir so unser Zusammenleben nicht vorgestellt habe und ich von ihm erwarte, dass sich das ändert. Wie man sich wahrscheinlich denken kann, gelingt das mehr schlecht als recht. Ich war immer wieder hin- und hergerissen, weil ich nicht wie eine "meckernde und nervige Frau" mit erhobenem Zeigefinger dastehen wollte. Also habe ich es teilweise einfach hingenommen, dass es auch hin und wieder ein paar Bier mehr waren. Wie gesagt, sind wir beide sehr gesellig und haben oft Besuch von Freunden, die auch gerne zum Feierabend ein Bier trinken (ich weiß, das ist wahrscheinlich kein Zufall). Und dieses arrogante Verhalten entwickelt sich nicht immer wenn er trinkt. Ich könnte das noch nicht einmal an einer bestimmten Menge ausmachen. Was die Sache natürlich nicht besser oder einfacher macht.

    Jedenfalls ist so wahrscheinlich der Teufelskreis entstanden, in dem ich mich jetzt befinde. Nach einem weiteren heftigen Streit nach übermäßigem Alkoholkonsum hat es noch ein weiteres Gespräch gegeben, in dem er versprochen hat den Konsum wieder zu reduzieren. Dabei habe ich ihm gesagt, dass es mir Sorgen macht, weil sein Konsum stetig zu steigen scheint und ich nicht möchte, dass er zum Alkoholiker wird und Angst vor der Zukunft habe. Auch habe ich gesagt, dass ich ihn dann nicht mag, wenn er ab einem bestimmten Zeitpunkt zum Ekel wird. Bis vor zwei Wochen hat das noch recht gut funktioniert. Zu meiner Überraschung hat er hin und wieder auch mal einen Tag ganz auf das Bier verzichtet oder wirklich "nur" zwei Bier getrunken. Die Situation, die mich dazu gebracht hat im Internet zu recherchieren und letztendlich hier zu schreiben, war folgende:

    Er war letzte Woche beruflich zwei Tage nicht zu Hause. Wir hatten kein Bier mehr im Haus, also habe ich einen Kasten gekauft. Er hat nach seiner Ankunft zwei Flaschen Bier getrunken. Danach musste ich meine Tochter bei ihrer Freundin abholen, was etwas länger gedauert hat. Als ich zu Hause angekommen bin, stand eine offene Bierflasche da und ich habe an seiner Gestik und Mimik gemerkt, dass es wieder mal mehr waren. Als meine Tochter im Bett war, haben wir uns ein wenig gestritten und ich habe gemerkt, dass wir uns mal wieder im Kreis drehen bei unserer Diskussion. Dann verlief die Diskussion wie folgt:

    Er: Dann sage ich ihn Zukunft gar nichts mehr.

    Ich: Das ist doch keine Lösung.

    Er: Das sagst du doch auch immer.

    Ich: Nein, das stimmt nicht. Das habe ich nur ein einziges Mal und zwar in Bezug auf deinen Bierkonsum gesagt.

    Darufhin ist er total wütend geworden und hat mich angeschrien, dass es ja wohl nicht sein kann, dass ich versuche die Schuld für den Streit darauf zu schieben, dass er getrunken hat. Schließlich hätte er nur drei Bier getrunken! Spätestens in diesem Moment wusste ich, dass er bei der Menge lügt und vor allem, dass er ein Problem mit Alkohol hat. Bis dahin habe ich nie die Flaschen gezählt, was auch schwierig war, weil der Kühlschrank ja immer wieder aufgefüllt wurde. Da hatte ich also keinen Überblick. Lange Rede, kurzer Sinn: ich habe diesmal gezählt. Es waren sechs Flaschen... Ich habe schon länger den Verdacht, dass er denkt, ich würde es nicht merken, wenn er meine Abwesenheit nutzt, um mehr zu trinken. Ich merke es aber. An seinen Augen, seinen Blicken, seiner Gestik...

    Nun stehe ich da und weiß nicht mehr weiter. Jedes Mal, wenn er die erste Flasche aufmacht bin ich nun hin- und hergerissen zwischen der Hoffnung, dass es nur ein oder zwei Flaschen werden und einer tiefen Trauer und Wut, wenn es dann doch wieder mehr sind. Ich überlege, wie ich jetzt handeln soll und ob es eine andere Lösung gibt, als mich zu trennen. Egal wie mein Weg aussehen wird, ich weiß, dass ich es schaffen werde. Das habe ich schon mal geschafft. Ich sammle nur noch etwas Kraft und Mut... Ich weiß es nicht, aber es tut gut, mir das alles von der Seele zu schreiben... Ich habe damals meine Lebensfreude zurückgewonnen. Das lasse ich mir nicht nochmal nehmen. Hoffentlich...

    Danke für´s Lesen

    Ebabsi

  • Hallo Ebabsi und willkommen im Forum!

    Ich las Deine Geschichte, und dachte dabei: … in die Falle getappt. Schöne Freunde und Verwandtschaft (seine), die Dich sehenden Auges ins offene Messer laufen lassen haben.

    Du hast Dich von Deinem Ex wegen der Spielsucht getrennt, und Dich aus der Verstrickung in seine Spielsucht lösen können. Toll! Meine Anerkennung dafür hast Du vollumfänglich!
    Verständlich, dass Du dachtest, damit wärst Du dann gegen einen neuerlichen Rückfall in die Co-Abhängigkeit gefeit.
    Co-Abhängigkeit ist der Sucht sehr ähnlich, manche sagen sogar, dass Co-Abhängigkeit selbst eine Sucht ist.
    Betroffene sind also genauso wie (hier) der Alkoholiker mit hoher Wahrscheinlichkeit (der klassischen Definition nach) ein Leben lang suchtgefährdet, weil die Suchtveranlagung in ihnen schlummert. Die Sucht kann nur zum Stillstand gebracht werden, wenn gleichzeitig kein Kontakt mehr zum Suchtmittel besteht.
    Co-abhängig Veranlagte können aber nicht ihr Leben lang auf einen Partner oder anderweitige enge Kontakte verzichten, nur damit die Co-Abhängigkeit nicht mehr aktiviert wird. Ein Alkoholiker kann sich, so wie ich, entscheiden den Rest seines Lebens ein abstinentes, alkoholfreies Leben zu führen.

    Es liest sich, als hättest Du alle völlig kontraproduktiven Verhaltensweisen in der Sucht Deines jetzigen Lebensgefährten gezeigt und geäußert, die üblicherweise beschrieben sind. Leere Drohungen, wie „sonst verlasse ich Dich“ u.v.m. gehören mit dazu.

    Aufgrund Deiner Beschreibungen vom „funktionierenden Alkoholiker“ wage ich, auch ohne Deinen Partner zu kennen, zu bezweifeln, dass es sich bei ihm „nur um Missbrauch“ handelt. Tendenziell würde ich aufgrund Menge, Regelmäßigkeit, aber vor allem aufgrund der Tatsache, dass er zur Befriedigung seines Alkoholkonsums Streit, ggf. sogar die totale Abwendung Deinerseits, seinen Führerschein, usw. in Kauf nimmt, und seine Konsummenge zu verheimlichen versucht davon ausgehen, dass sich die Alkoholsucht bei ihm bereits massiv manifestiert hat.
    Aber: Das soll hier für Dich nicht Dein Thema sein!

    Dein Thema ist die Co-Abhängigkeit, die Verstrickung in seine Sucht, und wie Du da am besten wieder herauskommst.
    Ich empfehle Dir, wende Dich an einen Suchtberatung, die Angehörigen von Suchtkranken bei der Co-Abhängigkeitsproblematik qualifiziert und fachlich hilft. Hilfreich wäre es bestimmt auch, wenn Du zumindest mal versuchst, einen Anschluss an eine Selbsthilfegruppe für Angehörige zu finden. Dort erfährst Du, wie andere Betroffene mit dem selben Problem umgehen können.

  • Liebe Ebabsi,

    gut, dass du schreibst, wie du selbst spürst hilft das Schreiben beim Sortieren!!
    Ich selbst habe das hier erfahren, ich habe viel durch das Schreiben und den Austausch hier gelernt!
    Mein Partner ist kokainsüchtig, Alkohol und Cannabis spielen auch eine Rolle. Im Moment lebt er abstinent, doch ich spüre dass ich immer noch in meinem coabhängigen Verhalten und Empfinden stecke. Trotzdem möchte dir ein paar Gedanken schreiben, von aussen betrachtet lässt sich manches einfacher benennen.
    Du hast das Sucht-/Coabhängigkeitsystem schon einmal erlebt. Hut ab, dass du es geschafft hast auszusteigen und das sogar mit einem Gewinn an Selbstbewusstsein! Bravo!
    Du fühltest dich gefestigt für eine neue Beziehung, warst bereit für klare und offene Kommunikation, doch jetzt merkst du dass es nicht möglich ist mit einem berauschten Menschen klar und offen zu kommunizieren...

    Vieles erkenne ich wieder:
    "im Prinzip ein rundum tolles Leben/wie im Märchen/Harmonie auf allen Ebenen"... streiche die Wörter 'im Prinzip' und 'eigentlich' aus deinem Vokabular, es vernebelt deine eigene Klarheit. Etwas stimmt nicht, das muss benannt werden! Was sind deine Bedürfnisse in dieser Beziehung!?
    "ihm schmeckt das Bier", heisst, das sollst du ihm nicht versagen. Er gibt dir hier unbewusst die Schuld, dass du ihm den Genuss nicht gönnst. Natürlich trinkt er das Bier nicht wegen seiner Wirkung sondern wegen dem Geschmack... Dabei geht es dir um das Bedürfnis nach klarer, offener Kommunikation. Diese ist nach einigen Bier nicht mehr möglich: "man (ich!) muss aufpassen was man (ich!) sagt", sonst wird er streitsüchtig und arrogant. Diskutiere nicht mit ihm, wenn er konsumiert hat. Entscheide selbst, mit welchem Menschen du in welchem Zustand sprechen möchtest. Sage ihm: du bist angetrunken, ich fühle mich nicht wohl bei dir, ich verbringe den Rest des Tages ohne dich. Ein klärendes Gespräch ist dann vielleicht am nächsten Morgen nüchtern ja wieder möglich? Eine meiner Leitfragen ist geworden: was kann ich mir jetzt im Moment Gutes tun? Dazu gehört sicher nicht, sich in unsinnigen Diskussionen zu verausgaben oder sich mit arroganten Menschen zu beschäftigen!
    "1-2 Bier am Abend fand ich unbedenklich", "Ich kann nicht sagen wann es mehr wurde". Es geht schleichend, du passt dich an, du passt dich seinem Konsum und seinem Verhalten an, freust dich schon oder bist erleichtert wenn es nur zwei Bier sind, schraubst deine Wünsche langsam aber stetig zurück. Vorsicht! Du verlierst die Verhältnismässigkeit dafür was es bedeutet, unbefangen und entspannt eine Partnerschaft zu leben in der man sagen kann was man will, in der man sich um sich kümmern kann und sich nicht vom Konsumverhalten des Partners abhängig macht! Du willst nicht meckernd und mit erhobenem Zeigefinger zu Hause unterwegs sein, genau das wollte ich auch nicht. Also lass ihm seinen Konsum, er soll trinken soviel er will, doch zeige deutlich ab wann das Zusammensein DIR nicht mehr gefällt und tue dann etwas, das DIR gut tut!
    Heimliches Trinken, Lügen über den Konsum verunsichern dich noch mehr, entziehen der Partnerschaft meines Erachtens jegliche Basis. Auch das habe ich erlebt und ich kenne es, wenn man nach Hause kommt und erstmal 'als Aufgabe' hat, die Lage zu checken, zu beobachten, vielleicht Flaschen zu zählen. Nein! Er trinkt so und so, offiziell oder heimlich, hier bist du machtlos. Gut, dass du erkannt hast dass du ihm nicht mehr glauben kannst, das ist wichtig. Doch es ist egal ob es nur zwei oder sogar sechs Bier waren. Sein Zustand gefällt dir nicht, das sagst du ihm und nimmst Abstand!

    Soviel vorerst von mir.
    Bleib bei dir! Überprüfe deine Bedürfnisse! Lasse nicht zu dass dieses Thema dich vereinnahmt! Lebe dein Leben, suche deine Freude, nimm Abstand von Situationen die dir nicht gut tun und zu nichts führen.
    Du musst dich nicht sofort trennen. Wenn du in deinem Verhalten etwas änderst, indem sein Fehlverhalten weniger Aufmerksamkeit bekommt, zeigen sich vielleicht andere Wege? Egal welche?

    Viel Kraft und Mut!
    Liebe Grüße,
    Verve

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