Hallo liebe Mitmenschen

  • Hallo liebe Mitmenschen,

    ich habe am Montag zum ersten Mal beschlossen mit der Trinkerei aufzuhören. Deshalb habe ich mich in verschiedenen Selbsthilfeforen angemeldet und wollte mich nun hier vorstellen.

    Ich betrinke mich seit etwa 20 Jahren je nach Lebensphase in wechselnden Mengen, aber durchgängig. Jetzt bin ich 35 Jahre alt. Das ich ein Alkoholproblem habe, war mir schon länger bewusst, auch habe ich seit mehreren Jahren offen zugegeben Alkoholikerin zu sein. Aber das hatte ich quasi als bestehenden Fakt akzeptiert. Es fehlte der Willen aufzuhören. In einer langen Gesprächstherapie wegen PTBS habe ich das Problem angeschnitten, und auch meinem Psychiater vor einem halben Jahr davon erzählt, aber die fanden das leider nicht dramatisch genug um mir zu helfen.

    Ich habe also bisher zwei Ärzte (einen Psychologen und einen Psychiater, beide spezialisiert auf Persönlichkeitsstörungen und Sucht) auf mein Alkoholproblem angesprochen, der erste meinte in der Langzeittherapie, ich solle mich so akzeptieren, da ich ja ansonsten alles auf die Reihe bekomme (ich funktioniere nach außen hin ziemlich gut für meine ganzen psychischen Probleme, das kostet mich natürlich auch noch mal Kraft. Saufen ist auch mein „Aus-Schalter“ für´s funktionieren müssen). Der Psychiater meinte lapidar, das bekäme ich schon alleine hin. Dahingehend bin ich also ziemlich enttäuscht.

    Hobbies habe ich viele (Malen, Musikmachen, schreiben, Logikspiele usw.), eine der Fakten die mich am Alkoholsaufen gestört haben ist, dass es mir Zeit raubt die ich viel besser hätte verbringen können. Ich selbst studiere im Master Psychologie (nach vielen Irrwegen, zig Umzügen innerhalb drei verschiedener Länder und mehreren verschiedenen Berufen bzw. Berufswünschen), bin also mit Theorie gut gerüstet. Aber diese innere Zerrissenheit, dieses unerträgliche Etwas, diese riesige explodierende Unruhe und Anspannung die ich seit etwa 20 Jahren zu betäuben versuche, hauptsächlich mit Alkohol, die wird in der Theorie nicht beschrieben.

    Meine Mutter ist selbst Alkoholikerin, daher mein Entschluss - denn letzte Woche habe ich zum ersten Mal eine Flasche mit Alkohol im Kleiderschrank versteckt, das ist zu viel, Schluss, Aus, ich will nicht wie meine Mutter hinter jedem Blumentopf ´ne Pulle versteckt haben. Ich habe entgültig die Kontrolle verloren. Und es langweilt mich, ich mache immer das gleiche beim Saufen: Musik auf Youtube hören und Träumen, was am Anfang sehr angenehm ist, aber mit steigenden Promille immer absurder und ja, psychotischer wird. Ich neige zu Suffpsychosen und vertrage eigentlich nicht viel Alkohol. Es wird mir fehlen, dieses absolute loslassen, da werde ich mir eine Alternative suchen müssen - als Kind konnte ich das noch, aber ab der Teenagerzeit nur noch mittels Drogen. Mir wurde vor 6 Jahren ADS diagnostiziert, was nicht besonders hilfreich für eh schon Suchtgefährdete wie mich war/ist.

    Meinen Mann habe ich besoffen in einer Kneipe kennengelernt - wir haben sehr viel gemeinsam getrunken bis zum umkippen. Er hat vor drei Jahren von einem Tag auf den anderen aufgehört - leider kann er mir verbal nicht wirklich weiterhelfen, da er nicht weiss wie er das geschafft hat, er wollte einfach nicht mehr. Ich habe vor allem vor dem "Willen" Angst, also dem Suchtgedächtniss und dem Suchtdruck die dann vorgaukeln dass "Ich" doch eigentlich trinken will/kann/darf, da sei doch nichts dabei, das macht doch jeder, ist doch egal wenn ich Alkoholiker bin denn niemand ist perfekt, usw.

    Was ich hier mit „Wollen“ meine ist, dass mir das Suchtgedächtnis vorgaukelt saufen zu wollen – da muss ich jetzt stark dagegenhalten. Deshalb dachte ich, dass Vernetzung mit Leuten die ähnliches versuchen bzw. geschafft haben wohl wichtig wäre um mich nicht selbst belügen zu können. Ich muss mir regelmäßig klarmachen, dass ich aufhören möchte und in Kontakt zu Menschen mit ähnlichen Problemen stehen. Manchmal ist die (Selbst-)wahrnehmung verzerrt, daher braucht man ja auch andere die einen darauf aufmerksam machen können.

    Seit mein Mann vor drei Jahren aufgehört hat zu saufen habe ich mich auf zwei Besäufnisse pro Woche runtergeschraubt, die aus einer Flasche Wein oder aber auch zwei Flaschen Flaschen Wein zu Hause oder aber einer unbekannten "alles-reinschütten-Menge" wenn ich ausgegangen bin bestanden haben. Ans Saufen habe ich jedoch täglich gedacht und auf mein "erlaubtes" Besäufniss regelrecht hingefiebert. Diese Dosis wurde von meinen Ärzten nicht ernst genommen. Als Teenager war ich aber mehrmals in der Klinik wegen Komasaufen und später habe ich jeden zweiten Tag gesoffen. Jetzt "nur" noch zweimal pro Woche. Habe einen Job usw. Das ich Alkoholikerin bin weiss ich, irgendwie nimmt mich da bisher außer meinem Mann (der trockener Alkoholiker ist) keiner ernst, weder Bekanntenkreis, noch Familie, noch Ärzte. Ich wirke zu gesund, an dieser Fassade habe ich seit ich klein bin aufgrund meiner Persönlichkeitsstörung und kaputtem Elternhaus gearbeitet, die funktioniert wohl manchmal "zu gut".

    Psychisch bin ich vollkommen abhängig und ich weiss, beim nächsten Schicksalsschlag wird es sicher wieder schlimmer. Ich hatte mich jetzt akzeptiert wie ich bin, als Alkoholikerin, und ja, man muss sich wohl erst selbst akzeptieren bevor man sich ändern kann, denn am Montag bin ich aufgewacht und konnte nur noch heulen, so leid habe ich mir selbst getan, dass ich so kaputt bin durch meine Vergangenheit und psychischen Schwierigkeiten dass ich mich selbst zerstöre. Jetzt will ich mir selber helfen. Arthur Miller, der Ehemann von Marilyn Monroe nannte ihre Besäufnisse "kleine Selbstmorde", und genau das ist Saufen. Ich will das nicht mehr und habe Angst vor meinem Hirn, dass mir was vorgaukelt durch die jahrelangen ankonditionierten Reaktionen. Deshalb brauche ich Austausch.

    Am schwierigsten wird es sein gegen meine eigenen Überzeugungskünste anzukommen - ich kann logisch ein Einhorn beweisen und dass schwarze Raben weiss sind. Ich darf mir nicht mehr einreden dass Alkohol ok ist. Ich gegen Mich.

    Auf eine gute Gemeinschaft und Euch alles Gute,
    liebe Grüße,
    Maya

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  • Hallo, Maya Kali, und HERZLICH WILLKOMMEN hier im Forum :welcome:

    Kurz zu mir: ich bin m, 55, Alkoholiker, seit einigen Jahren trocken und in der Selbsthilfe aktiv.

    Zu Deinen Erlebnissen mit den Ärzten kann ich nur sagen, dass ich soetwas auch erlebt habe. Ich hatte meiner Hausärztin erzählt, dass ich Alkoholiker bin (habe es kurz vorher erst für mich so akzeptiert) und sie gefragt, was ich tun könne. "Ach, so schlimm ist das doch nicht." war ihre lapidare Antwort. Dies war mein letzter Besuch bei ihr - ich habe mir eine andere Ärztin gesucht.

    Am schwierigsten wird es sein gegen meine eigenen Überzeugungskünste anzukommen - ich kann logisch ein Einhorn beweisen und dass schwarze Raben weiss sind.

    Nur ein Mensch auf der Welt weiss, ob Du aufhören willst zu trinken, ob Du wirklich Alkoholikerin bis, ob Du weisse Raben siehst - das bist DU.
    WIR können nur von unseren Erfahrungen berichten und unsere Meinung kundtun. Wenn Du sie hören (bzw. lesen) willst - nur zu. Wenn Du meinst, dass der eine oder andere Vorschlag für Dich nützlich sein könnten - nur zu. Es ist allein DEINE Entscheidung.

    Und wenn Du Dich hier nicht verstanden fühlst, dann kannst Du es sagen/schreiben. Und/oder in einem anderen Forum Dein Glück versuchen.

    Gruß
    Greenfox

    Es rettet uns kein höh’res Wesen,

    kein Gott, kein Kaiser noch Tribun

    Uns aus dem Elend zu erlösen

    können wir nur selber tun!

  • Hallo Greenfox,

    danke für Deine Antwort. Ich habe mich hier mal im Forum eingelesen, es gefällt mir menschlich sehr gut. Einige sehr hilfreiche, zum nachdenken anregende Konversationen sind hier im Forum.

    Da, wie Du schreibt und ich ja auch weiss, bin nur ich selber dafür verantwortlich wie ich die Realität interpretiere bzw. bewerte. Meine Schwierigkeit liegt hier einfach im Wissen, dass das Ego nicht nur aus einer Einheit besteht und dass das Suchtgedächtnis stark ist, quasi das Schiff kapern kann. Also rein bildlich gesprochen, um das zu verdeutlichen - das Suchtgedächtnis kapert mein Ich, übernimmt die Führung, sucht 1000 logisch klingende Scheinargumente und ist dann der Kapitän der das Schiff zum sinken bringt. Deshalb versuche ich so oft es geht darüber zu sprechen oder zu schreiben, um wachsam zu bleiben. Man erzählt doch auch oft dieses Bild vom inneren Schweinehund. So was in der Art, nur teuflischer.

    Hier mitzulesen ist jedenfalls hilfreich und der Umgangston freundlich, das ist schön.

    Liebe Grüße,
    Maya

  • Im Laufe der Zeit habe ich mein Suchtgedächtnis in den Griff bekommen und bestimme meinen Kurs selbst. Trotzdem achte ich (mittlerweile beiläufig) auf mich und mögliche Anzeichen, dass es sich aus meinem Griff windet. Das ist wie mit dem Autofahren - zu Beginn achtet man krampfhaft auf alle möglichen Kleinigkeiten. Und irgendwann fährt man ganz entspannt, macht alles automatisch und geniesst die Fahrt und die Umgebung. Aber man darf eben nicht nachlässig und/oder unaufmerksam werden ...

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  • Ja ich hoffe auch, dass es irgendwann wie Fahradfahren wird - am Anfang fällt man dauernd runter und muss sich stark konzentrieren, mit der Zeit wird es weniger anstrengend, aber man muss trotzdem achtsam bleiben um nicht von einem Auto aufgegabelt zu werden.

    Bin gespannt wie das jetzt die nächsten Wochen so wird, ich habe noch nie versucht mit dem Saufen aufzuhören. Andere Probleme, wie Magersucht oder Depressionen oder eine ausgeprägte soziale Phobie habe ich jeweils durch harte Anstrengung überwunden, daher traue ich mir das schon im Prinzip zu auch die Alkoholsucht zu bändigen. Dass das nicht einfach weg ist, ist mir klar, dass sind die anderen Sachen ja auch nicht, ich muss z.B. immer darauf achten mich genug zu bewegen, genug Licht und Zwischenmenschlichkeit usw. zu bekommen um nicht wieder in eine Depression zu rutschen.

    Ein aufmerksames Leben ist eh erstrebenswert.

    Dir noch einen schönen Abend,
    Maya

  • Guten Tag, Maya Kali,

    du bist doch „eigentlich“ auf einem guten Weg: Du säufst zwar, weißt aber ganz genau, dass das zu nichts führt und zitierst sogar Arthur Miller. Analysieren tust du dich auch schon rauf und runter- was also hindert dich, mit dem Trinken aufzuhören? Doch bestimmt nicht Herr Miller oder die Psychoanalyse?
    Ich bin seit so vielen Jahren trocken, dass ich denke, ich staube schon. Aber stelle ich mir vor, nur ein Glas Bier zu trinken, dann fühle ich sofort die guten, alten Regungen des Alkoholikers: Selbstüberschätzung, Selbstmitleid, und so einiges mehr.
    Denkst du, eine Selbsthilfegruppe könnte was für dich sein? Da geht’s allerdings um Alkoholismus, nicht so sehr um Selbstdarstellung. Ich bin mit und bei AA trocken geworden. Aber: Wer heilt, hat recht. Kann also auch jede/r andere sein.

    Ich drücke die Daumen.

    Laurids

  • Hallo Laudris,

    danke für Deine Antwort. Da ich mich in Gruppen generell nicht besonders Wohl fühle (ADD & Asperger), wäre eine Selbsthilfegruppe eher schwierig. Momentan bin ich in verschiedenen Foren angemeldet, das empfinde ich als sehr hilfreich - ich lese die Erfahrungsberichte, Tipps und Fragen anderer Menschen und kann mich bei Bedarf auch äußern. Das passt ganz gut zu meiner Persönlichkeitsstruktur. Motiviert bin ich jedenfalls, es ist halt alles noch ganz frisch, aber wenigstens will ich endlich aufhören, das ist neu und gut.

    Dir noch einen schönen Abend und liebe Grüße,
    Maya

  • Guten Morgen Maya Kali,

    auch von mir willkommen im Forum!

    Interessant, was Du bei all dem „Wissen“ über das Suchtgedächtnis schreibst ;)
    Vielleicht hilft Dir dieses Wissen weiter dabei mal klarzusehen ... 8)

    Zitat

    Suchtgedächtniss und dem Suchtdruck die dann vorgaukeln dass "Ich" doch eigentlich trinken will/kann/darf, da sei doch nichts dabei, das macht doch jeder, ist doch egal wenn ich Alkoholiker bin denn niemand ist perfekt, usw.
    Was ich hier mit „Wollen“ meine ist, dass mir das Suchtgedächtnis vorgaukelt saufen zu wollen – da muss ich jetzt stark dagegenhalten.
    Da, wie Du schreibt und ich ja auch weiss, bin nur ich selber dafür verantwortlich wie ich die Realität interpretiere bzw. bewerte. Meine Schwierigkeit liegt hier einfach im Wissen, dass das Ego nicht nur aus einer Einheit besteht und dass das Suchtgedächtnis stark ist, quasi das Schiff kapern kann. Also rein bildlich gesprochen, um das zu verdeutlichen - das Suchtgedächtnis kapert mein Ich, übernimmt die Führung, sucht 1000 logisch klingende Scheinargumente und ist dann der Kapitän der das Schiff zum sinken bringt.

  • Hallo Dietmar,

    danke für Deine Antwort!
    Das Problem bzw. Schwierige am theoretischen Wissen ist ja, es sich irgendwie lebensnah und persönlich zu verbildlichen, damit es nicht abstrakt bleibt, sondern internalisiert wird. Danke für den Link, in etwa das hatte ich im Studium gelernt. Ich versuche es nach dem "inneren Team" nach Schulz von Thun anzugehen, eine Methode die mir bei anderen psychischen Schwierigkeiten gut geholfen hat. Bis jetzt funktioniert das ganz gut, auch das Fokusieren auf die positiven Aspekte einer Abstinenz finde ich hilfreich, aber natürlich dauert die ganze Umkonditioniererei seine Weile, und bisher hatte ich auch nur einmal einen starken Triggerreiz (Freitagabend, umherziehende betrunkene Menschen) zu überstehen, das auch noch in einer relativ guten Lebensphase. Momentan schaue ich nach Idden, wie man in schwierigen Phasen mit aufkommenden Suchtdruck am besten umgeht, Kommunikation halte ich da auch für essentiell.

    Dir noch einen angenehmen Sonntag und liebe Grüße,
    Maya

  • Hallo Maya Kali,

    freut mich, wenn ich Dir behilflich sein konnte. Ich denke, für jemand, der sich so vertieft mit seiner Sucht bzw. Sucht allgemein auseinandersetzt, ist dieses Wissen immer hilfreich.

    Craving, wirklich fies, wenn's einem erwischt und keine gute Strategie zur Hand ist ...
    Bin mal wieder beim Suchen auf eine interessante Seite gestossen. (Craving-Protokoll).
    Stichwort: Urge Surfing craving ...
    Vielleicht ein Denkanstoss?

  • Das Problem bzw. Schwierige am theoretischen Wissen ist ja, es sich irgendwie lebensnah und persönlich zu verbildlichen, damit es nicht abstrakt bleibt, sondern internalisiert wird.

    Bei uns hies das: Marx ist die Theorie und Murks ist die Praxis ... ;)

    Es rettet uns kein höh’res Wesen,

    kein Gott, kein Kaiser noch Tribun

    Uns aus dem Elend zu erlösen

    können wir nur selber tun!

  • "Marx ist die Theorie und Murks ist die Praxis" :) Das ist perfekt, das merke ich mir.
    Bisher läuft es ganz gut, Wochenende gut überstanden, und das obwohl Horden betrunkener Menschen an mir vorbeigeeiert sind. Dafür trinke ich literweise Kaffee, naja, alles besser als Alkohol.

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