Ambulante Entgiftung ab morgen

  • Guten Abend

    ich habe heute bereits 9 Bier getrunken und schaffe es seit Tagen nicht bei der gewünschten Menge von 5-7 Bieren zu bleiben. Diese Menge würde ich nämlich als realistische Ausgangssituation betrachten um tags darauf erfolgreich entgiften zu können. Alles drüber macht die Sache sehr bedrohlich.
    Ich bin für eine ambulante Entgiftung einigermaßen gut ausgestattet: Habe Levetiracetam, Tiaprid (beides auf Rezept) und sogar Diazepam (Schwarzmarkt) hier um endlich den Absprung zu schaffen.
    Was wäre Eure Einschätzung? Kann man auch nach 10 oder 11 Bieren am Tag darauf noch entgiften oder stirbt man an dem Entzug? Ich würde mittags 500mg Levetiracetam nehmen und abends 5-10mg Diazepam. Ich bin einigermaßen ausgestattet mit Lebensmitteln, muss also nicht groß raus, habe meinem nächsten Umfeld Bescheid gegeben was ich ab morgen durchmache und plane mindestens 3 Tage Bettlägrigkeit ein. Zu meiner Arbeit muss ich erst übernächste Woche wieder, mir ist bewusst dass die Übergangszeit zu einer halbwegs stabilen Abstinenz nicht sehr einfach ist. Habe mehrere AA-Gruppen parat, eine online und zwei in meiner direkten Umgebung. Darüber hinaus besteht auch ein Kontakt zu den Guttemplern, die ebenfalls nicht weit entfernt sind.
    Ich wünsche mir als Antwort von Euch keine Horrorprognosen über ambulante Entgiftungen im Allgemeinen sondern lediglich die Einschätzung ob eine Entgiftung (wo und wie auch immer) nach 10-11 Bieren tags darauf überhaupt möglich ist oder körperlich eine zu große Belastung darstellt.

    Vielen Dank für Eure Antworten.

  • Hallo, habssatt!


    Zu meiner Arbeit muss ich erst übernächste Woche wieder, mir ist bewusst dass die Übergangszeit zu einer halbwegs stabilen Abstinenz nicht sehr einfach ist. Habe mehrere AA-Gruppen parat, eine online und zwei in meiner direkten Umgebung. Darüber hinaus besteht auch ein Kontakt zu den Guttemplern, die ebenfalls nicht weit entfernt sind.
    Ich wünsche mir als Antwort von Euch keine Horrorprognosen über ambulante Entgiftungen im Allgemeinen sondern lediglich die Einschätzung ob eine Entgiftung (wo und wie auch immer) nach 10-11 Bieren tags darauf überhaupt möglich ist oder körperlich eine zu große Belastung darstellt.

    Da Dir ja an unserer unqualifizierten Meinung nicht viel gelegen ist, außer, ob eine Entgiftung möglich ist - hier die meine: Ja, es ist möglich.

    Abgesehen davon, dass man unter einer "ambulanten Entgiftung" eine ärztlich überwachte Entgiftung versteht - und nicht eine wie bei Dir mit selbst beschafften Medikamenten.
    Da dies aber eine von Dir nicht gewünschte "Horrorprognose" ist, sage ich Dir eben nicht, dass es sich hierbei eben nicht um eine "ambulante Entgiftung" handelt, sondern um einen saugefährlichen kalten Entzug! Auch wenn Du es anders nennst und Dir dafür auf dem Schwarzmarkt organisierte Mittel beiziehst.

    Keine Ahnung, woher Du meinst, dass diese Mittel in welcher Dosierung wann helfen sollen - und ob es überhaupt die richtigen Mittel sind (Schwarzmarkt) -, ich hoffe nur, dass es Dich nicht umhaut!

    ICH kann vor solchen versuchen nur warnen - es ist oft genug schief gegangen!

    Gruß
    Greenfox

    Es rettet uns kein höh’res Wesen,

    kein Gott, kein Kaiser noch Tribun

    Uns aus dem Elend zu erlösen

    können wir nur selber tun!

  • Hallo Habssatt,

    der langen Rede kurzer Sinn:

    Wenn schon Entzug, dann richtig! Soll heißen:

    In einem richtigen Krankenhaus, auf einer richtigen Entgiftungsstation, wo richtiges qualifiziertes Fachpersonal arbeitet, die dir nicht nur helfen können in der aktuellen Situation, sondern die auch die Möglichkeit haben dir weiter helfen zu können --> geistiger und seelischer Entzug als Folgetherapie.
    In einem Krankenhaus ist es auch irrelevant ob Du 5 Bier getrunken hast oder 20. Dort wird dir in jedem Fall kompetent geholfen!

    Wie gesagt: Wenn schon Entzug, dann richtig!

    Deine Beschreibung und Vorstellung von einem sog. kalten Entzug, ist das was Greenfox beschreibt, nicht nur saugefährlich - ich umschreibe es mit lebensbedrohlich - Horrorszenario hin oder her, dass sind nun mal medizinische Fakten ganz gleich ob du dies lesen willst oder nicht - obendrein ist deine Vorstellung und Beschreibung auch nichts weiter als ein ganz klassischer Selbstbetrug nur um wieder (mal) einen Grund haben zu können um weiter zu trinken. Du solltest Dich hinterfragen ob Du das wirklich haben möchtest...

    Ich wiederhole mich noch einmal:

    Wenn Entzug, dann richtig!

    Lass Dich von deinem Hausarzt krank schreiben, plus einer Überweisung ins Krankenhaus und ab auf die Entgiftungsstation.

    Viel Glück und gute Besserung Dir

  • Vielen Dank für Eure Antworten, danke auch an Greenfox, der sich sichtlich bemüht hat sich zurückzuhalten mit was er eigentlich denkt.
    Mein Problem ist dass ich in meinem Leben bereits 2x eine stationäre Entgiftung hatte und beide haben nicht nur nichts gebracht, sie waren gewissermaßen auch die Hölle. Version 1 war ein Mehrbettzimmer mit Menschen die 24/7 laut Radio hörten, um die Stimmen in ihrem Kopf zum schweigen zu bringen, das kann ich mittlerweile nachvollziehen. Version 2 war ein anthroposophisches Krankenhaus die auf Medikation komplett verzichteten und erst bei einem Bluthochdruck monumentaler Ausmaße dazu neigten endlich ein Medikament rauszugeben. Im Wesentlichen waren die meisten Alkoholiker dort nicht mit Medikamenten behandelt, das halte ich für ein Unding.
    Beide Erfahrungen bringen mich zu der Einschätzung dass ein selbst kontrollierter Entzug mit ausreichend Medikamenten zur Hand eventuell sanfter sein könnte. Quasi im Einzelzimmer zuhause und mit einem strikten Medikamentenplan statt um die Hilfsmittel betteln zu müssen. Ein Alkoholentzug ohne Medikamente halte ich für eine unnötige und sehr schlimme Qual, das wünsche ich niemandem.
    Aufgrund meines sehr sehr regelmäßigen, aber doch im Verhältnis zu anderen Fällen auf stationären Entzügen noch einigermaßen als moderat zu bezeichnenden Konsums von 5-10 Bier pro Tag hielt ich eine ambulante Lösung für vorstellbar. Kaum ein Arzt traut sich da ran, aber ich hatte das Glück eine Psychiaterin zu haben, die sich ungefähr an der Medikation der ambulanten Entgiftung an der Charite orientierte. Gleichzeitig hielt sie die dortige Medikamentengabe für total übertrieben und verschrieb mir etwa die Hälfte davon. Auf diese Weise (1-2x 500mg Levetiracetam, 100-200mg Tiaprid als Bedarfsmedikament. Googlet "Bernburg Schema", da wird das Fünffache empfohlen, mit Carbamazepin statt Levetiracetam) versuchte ich mehrfach selbstständig zu entgiften, aber es funktionierte nicht nachhaltig.
    Wiederum ein Google-Ergebnis zum Begriff "Diazepam" wirft als Ergebnis aus dass dieses nicht ungefährliche Medikament in Metastudien als "Mittel der Wahl" dargestellt wird. Es gilt als wesentlich erfolgsversprechender als eine reine Behandlung mit Antikonvulsiva und wird auch eindeutig Clomethiazol vorgezogen, da "Distra" ein noch viel höheres Abhängigkeitspotential besitzt und ambulant zurecht definitiv nicht eingesetzt werden darf.
    Ich habe jetzt erstmals "Diazepam" ausprobiert und muss sagen ich bin froh wenn ich es wieder los bin, denn toll finde ich die Wirkung überhaupt nicht.

    Kurz gesagt: Ich experimentiere rum, aber ich finde das sollte nicht per se verdammt werden.
    Mein erster Anlauf scheiterte aus verschiedenen Gründen. Aber ich werde morgen wieder beginnen und nutze eine, zugegebenermaßen, Best Of-Medikation aus verschiedenen Quellen:
    morgens zu meinem Antidepressivum Bupropion (300mg), das ich ja zwangsläufig weiter nehmen muss, nehme ich 100mg Tiaprid. Mittags nehme ich 500 mg Levetiracetam und um abends auf keine falschen Gedanken zu kommen 5 bis 10mg Diazepam. Störungsfrei Netflix schauen kann ich dabei nicht, denn sowohl Levetiracetam als auch Diazepam macht mich bleiern müde und regt auch halbstündiges Wegdämmern an. Deswegen nehme ich das Zeug auch nur kurz. Levetiracetam muss ich, weil ich Mittwoch wieder arbeiten gehen will, relativ schnell ausschleichen. Diazepam würde ich ohnehin nur 3-4 Tage lang nehmen. Tiaprid ist leider ein Medikament von dem ich mich nur schwer verabschieden werden kann. Ich habe Angst es abzusetzen. Baclofen oder ähnliches halte ich als Ersatz für relativen Placebo-Quatsch. Naltrexon lehne ich ab weil es eine ohnehin bestehende rezidivierende Depression verstetigen kann. Die Höhen im Leben sollten nicht abgeschnitten werden, um die Abgründe sollte es gehen und ein Honeymoon frisch erlebter Abstinenz sollte auch genossen werden dürfen. Ich hoffe ich bin nächste Woche an diesem Punkt. Ich fühle mich null schuldig für den Übergang auch auf Diazepam zurückzugreifen. Alles was hilft eben.

  • Wenn ich Deinen Bericht so lese, könnte ich FAST auf den Gedanken kommen, dass eigentlich Du derjenige bist, der anderen Ratschläge erteilen sollte, so wie Du hier mit den Begrifflichkeiten um Dich schmeisst ...

    Vorweg: Hier wird kein Weg VERDAMMT. Höchstens kritisch betrachtet.

    Kurz zu mir: Ich habe insgesamt 4 stationäre Entgiftungen gemacht und die letzte sollte eigentlich in meine 2. Langzeittherapie übergehen. Aber da die kurzfristig dann doch nicht bezahlt wurde, blieb es bei der Entgiftung und ich habe dann eben selbst alles dafür getan, nicht wieder eine machen zu müssen.
    Das war vor etwas über 14 Jahren. Und davon bin ich ca. 10 Jahre in der Suchtselbsthilfe aktiv, habe jahrelang eine SHG geleitet, bin in Krankenhäuser auf die Entgiftungsstationen gegangen, habe mit den Leuten gesprochen.

    Du brauchst mir also nix vom Pferd zu erzählen.

    Übrigens noch kurz zum Thema "Placebo-Quatsch" Baclofen: Ich persönlich halte sowieso nichts davon, irgendwelche Mittel ohne psychologische Betreuung einzunehmen (man muss sich selbst ändern, seine Betrachtung der Dinge), ABER ich kenne Menschen, denen hat Baclofen sehr geholfen. Und andere, bei denen hat es garnichts bewirkt.

    Gruß
    Greenfox

    Es rettet uns kein höh’res Wesen,

    kein Gott, kein Kaiser noch Tribun

    Uns aus dem Elend zu erlösen

    können wir nur selber tun!

  • Hallo Habssatt.


    Vorweg: Hier wird kein Weg VERDAMMT. Höchstens kritisch betrachtet.

    Ich sehe das auch so wie Greenfox und habe das in den bald 20 Monaten, die ich dieses Forum kenne, auch genau so beobachtet.

    Auch ich betrachte deinen Weg kritisch und auch mir brauchst du „nix vom Pferd zu erzählen“, auch wenn ich nicht sämtliche der von dir aufgeführten Medikamente kenne.

    Ich weiß nicht, ob du wirklich offen bist für das, was wir dir sagen könnten, oder ob du einfach von uns Bestätigung für deinen Weg haben willst. Deine erste Vorstellung hier deutete eher auf letzteres hin, deshalb habe ich zum Beispiel dir nichts geschrieben. Nach Deinem Post heute Abend kann ich mir immerhin eine bessere Vorstellung machen, was dein Hintergrund und deine Beweggründe für diesen Weg sind.

    Zu meinem Hintergrund:
    Erfahrungen mit einem solchen Weg, wie du es versuchst, habe ich viele Jahre lang mit meinem Vater machen dürfen. Ein zweifellos intelligenter Mann, der in einer ähnlichen Lage steckte wie du. So, wie ich dich argumentieren höre, erinnerst du mich sehr stark an ihn. Er war in Bezug auf Medikamente ähnlich bewandert, trat sehr überzeugt von der Richtigkeit seines Tuns auf. Er hat sich die entsprechenden Medikamente immer über einen befreundeten Arzt verschafft. Damals, das war in den 70ern und 80ern, waren das noch Distra und noch ein paar andere Medikamente. Übrigens endeten alle seine Versuche im Krankenhaus.

    Da ich selbst leider recht gut vertraut mit Depressionen und mit den entsprechenden Medikamenten bin, sehe ich deinen Weg, sofern du von der Medikamentierung deiner Psychiaterin abweichst, recht kritisch.

    Wenn deine Psychiaterin dich beim ambulanten Entzug begleiten will, dann übernimmt sie damit auch eine hohe Verantwortung. Ich weiß nicht, ob du dir der Tragweite tatsächlich bewusst bist.

    Dann halte dich aber auch genau an ihre Medikamentierung und die abgesprochene Dosis und ergänz das nicht auch noch (ohne ihr Wissen?) mit Medikamenten vom Schwarzmarkt. Und wenn du in ihre Kompetenz nicht genug Vertrauen haben solltest, dann such dir einen anderen Psychiater (auch wenn’s wegen Ärztemangel und langen Wartezeiten schwierig wird). Auch ich kann nur davor warnen, eigene Experimente zu unternehmen.

    Grüße
    AmSee

    P.S.: Vielleicht macht dich das traurige Beispiel von Rolf, von dem der Journalist im folgenden Artikel u.a. erzählt, ein bisschen nachdenklich:

    https://www.fr.de/panorama/erst-…e-10988513.html

    Du kannst nicht zurückgehen und den Anfang ändern,
    aber du kannst jetzt neu anfangen und das Ende ändern.

    Einmal editiert, zuletzt von AmSee13 (25. Juni 2022 um 08:48)

  • Lieber Habssatt,

    Du scheinst Dir Deiner Sache sicher zu sein und ich bin der Überzeugung, dass Du Deine Sache durchziehen wirst - vielleicht sogar schon hast.

    Wie dem auch sei, nicht weniger wichtig ist es für dich über folgendes Gedanken zu machen:

    - Hast Du einen Plan B in der Tasche falls dein Selbstentzug scheitern sollte?

    Wäre es dann nicht angebracht einen Entzug in einem richtigen Krankenhaus zu machen?

    Das kann man übrigens als Motivation sehen, nämlich dahin dass du die unschönen Dinge die Du dort siehst und erlebst als Motivation nimmst um mit der Droge Alkohol endgültig zu brechen.

    Quasi: "Soweit weit nach unten bin ich gekommen - da will ich nicht mehr hin." (Ich, Proky, habe das jedenfalls so gemacht)

    - Wie geht es nach der Entgiftung weiter mit Dir?

    Auch darüber solltest Du einen Plan haben. Denn mit der (körperlichen) Entgiftung alleine ist es nicht getan. Denn dann sollte die "geistige Entgiftung" folgen.
    Klassischerweise ist das die Langzeittherapie und eine Selbsthilfegruppe.

    Das möchte ich Dir mit an die Hand geben um darüber nachzudenken.

    Vielleicht magst Du uns darüber auf dem laufenden halten - denn auch das ist eine Form der Entwöhnung...

    Viel Glück und gute Besserung

  • Hallo Habssatt
    Was proky schreibt ,dem möchte ich mich anschließen.
    Nach deiner Entgiftung fängt es ja erst an, sonst ist es nur eine Trinkpause.
    Was bringt die Nichts.
    Du brauchst etwas, wo du danach von zehren kannst.
    Das wäre eine Shg um deine Ab zu festigen.
    Wenn du hier liest sind genügend, die wieder angefangen haben, weil sie diese nicht hatten.
    Mit der Entgiftung alleine ist es nicht getan, im Kopf muss da etwas passieren.
    Ansonsten sehe ich dich schnell wieder bei deinem alten Muster.

    Der Weg ist das Ziel<br />Konfuzius (551–479 v. Chr.

  • Ich danke Euch sehr für Eure sehr lieben Antworten.

    Und tatsächlich: Ich habe das Projekt abgeblasen. Warum? Wegen Kleinigkeiten. Aber diese Kleinigkeiten sind es eben. Dass ich erst meine Psychiaterin um eine Verlängerung meiner Krankschreibung bitten muss, dass ich erst mit meinen Chefs eine Verlängerung meiner Abwesenheit besprechen muss, dass morgen ein Handwerker kommt der meine halbe Küche auseinander nimmt, dass mein Krankengeld noch nicht gezahlt wurde und die nächste Miete ansteht ... all das hat mich so gestresst, dass ich gerade mal einen Tag hinbekommen habe.
    Der Handwerker kommt morgen, mit den Chefs rede ich morgen, das mit dem Krankengeld ist seit heute endlich geklärt, es kommt wohl rechtzeitig an.
    Ich empfinde es so dass eine Entgiftung nur möglich ist wenn alle Grundvoraussetzung wenigstens halbwegs in Ordnung sind.

    Ich habe darüber hinaus auch ein dünnes soziales Netz: Eine beste Freundin weiss genau Bescheid, ich habe sogar eine Partnerin, die nicht weit weg wohnt.
    Die Beunruhigung wegen Diazepam kann ich wirklich verstehen, aber ich nehme das Zeug nur deswegen weil ich nicht Tiaprid sonstwie hochdosieren möchte. Denn in den Nebenwirkungen des Beipackzettels steht dass es den Herzrhythmus verändern kann und ich habe wirklich eine Phobie gegenüber speziell diesem Effekt, der natürlich auch während einer Entgiftung auftreten kann.

    Im Übrigen gebe ich Euch in fast allen Dingen recht: Mit einem Entzug allein ist gar nichts erledigt. Ich habe glaube ich betont wie schön der "Honeymoon"-Effekt sein kann, also die ersten Tage ohne nervige Medikation und Entzugserscheinungen. Überhaupt jeden Morgen ohne Kater aufzuwachen, das reduziert auch Angst und Schuldgefühle. Darauf freue ich mich sehr. Da ich jetzt nun doch erst am Mittwoch anfangen werde freue ich mich über den Wetterbericht dass hier in Berlin ab Samstag das Wetter einigermaßen stabil bleiben soll. Das würde ich gerne nutzen um besagte (vollkommen abstinente, die hat nie getrunken) Freundin und meine Partnerin zu treffen, ansonsten einfach mal meine Wohnung putzen, im besten Fall ein bisschen Rad fahren. Ich war schon mal für Jahre abstinent, nicht lange, aber immerhin von 2004-2007. In der Zeit war das Radfahren für mich die allerbeste Therapie, bin stundenlang stadtauswärts gefahren und wieder zurück, war danach ausgepowert, trank dann eine eiskalte Limo und war sehr mit mir zufrieden. Suchtdruck null. Jahre lang. Bin dann auch mal in eine Disco gegangen, wo man das Wort des Anderen nicht verstehen konnte. Hatte eine Cola in der Hand, die anderen alle ein Bier. Ich fands langweilig, aber nicht schlimm. Bin trotzdem trocken auf Konzerte gegangen. Ich hatte dann erst wieder schrittweise angefangen als ich die Stadt gewechselt hatte und dachte man könnte ja mal hin und wieder im Zusammenhang mit sozialen Kontakten.... kommt bestimmt manchen bekannt vor.

    Was nach dem Entzug passiert? Ich werde direkt wieder arbeiten. Weil ich es muss. Ich brauche das Geld. Es war ja auch nicht wirklich die Arbeit die alleine dafür verantwortlich gewesen wäre dass ich trank. Ich werde einen Antrag stellen auf eine ambulante Reha, das geht hier in Berlin in bestimmten Suchtberatungsstellen, davon unabhängig werde ich mich an AA halten. 2x die Woche virtuell und gerne 1-2x live hier um die Ecke. Da war ich schon mal während einer Cleanphase und die waren alle sehr nett - und erstaunlich, so unterschiedliche Menschen, kaum einem/einer "sah man es an". Ich traue mich aber nicht hin solange ich nicht auch wenigstens eine halbe Woche abstinent bin. Wenn die Medikamente ausgeschlichen sind (wie gesagt Diazepam max. 3-4 Tage) traue ich mich hoffentlich hin.

    Sollte all das nicht funktionieren oder die Arbeit mich überfordern ... dann muss ich natürlich einen härteren Weg einschlagen. Also auch eine stationäre Entwöhnungsbehandlung in Erwägung ziehen. Das ist keine Schande, vielen Menschen hat das sicherlich gut geholfen. Aber ich möchte es gerne so schaffen und meinen Job behalten, auch ohne Coming-Out. (Krankgeschrieben bin ich offiziell wegen meiner sekundären Diagnose: Depression).
    Wenn ich abstinent bin und auch wieder arbeite würde ich gerne hier wieder schreiben und berichten dürfen. Dass der Alltag überhaupt nicht einfach sein wird ist mir vollkommen klar. Die ganzen Assoziationen Arbeit > Feierabendbier sind wie eingefräste Automatismen. Und wie ist es mit im Sommer Freunde treffen? Wenn die dann alle eine Flaschenbier trinken? Natürlich wird das überhaupt nicht einfach.
    Hauptproblem für mich ist der Umgang mit seelisch/psychisch stressigen Situationen. Auf die Arbeit beschränkt ist das noch halbwegs erträglich (obwohl ich mir da einen sehr krassen Job mit sozialen Interaktionen ausgesucht habe), aber selbst Besuche bei den mittlerweise greisen Eltern sind im Moment kaum vorstellbar ohne abends ein paar Glas Wein zu trinken.
    Natürlich wird das alles hart, aber als erstes benötige ich den Luxus einer zumindest bereits kurzzeitig stabilen Abstinenz und ich rede mir ein dass die Rückkehr zur Arbeit sogar helfen könnte, wegen Tagesstruktur.
    Den Weg dorthin bespreche ich ja mit meiner Psychiaterin, nur das mit dem Diazepam lasse ich weg. Aber ich nehme es eben anstatt 2x Levetiracetam, was ebenfalls zur Folge hätte dass ich abends nach dem Abendessen und kurz vor der Nacht erneut ein "Nickerchen" machen müsste. Beides nicht toll, Entzug macht keinen Spaß, überhaupt nicht. Es ist hart, aber ich bin froh so wenig "psychovegetatives Syndrom" zu haben wie möglich, das Wegdämmern nehme ich dann in Kauf, obwohl es nervt, 3 Tage lang immer wieder wegzudämmern und dabei viel zu schwitzen, aber wie gesagt nehme ich niemals mehr als 10mg Diazepam. Hab gelesen Menschen mit Krampfanfällen in ihrer Geschichte bekommen bis zu 60mg stationär, unfassbar. Das bin ich aber erfreulicherweise nicht und ich mache aber alles keinen Anfall zu bekommen.
    Wichtig ist noch, das habe ich vergessen zu erwähnen, dass die "Entgiftung" gewissermaßen am Abend zuvor beginnt. Ich kann nicht abends 12 Bier trinken und dann am Tag danach auf Medikamente vertrauen. Ich habe da eine Grenze von 7-8 Bier, sonst erscheint mir das tags darauf zu gefährlich.

  • Hallo habssatt
    Morgen Morgen nur nicht heute sagen alle Faulen Leute.
    Sag doch dann einfach, ich will doch gar nicht aufhören.
    Ihr könnt mich hier ein bisschen betüdeln und das wars.
    So wie ich mal gehört habe, soll es in Berlin eine Menge Shg Gruppen geben.
    Wenn du wirklich was verändern willst, dann kannst du heute schon eine besuchen.
    Rumjammern bringt dir gar nichts.
    Das, was du schreibst, von deinem Runterkommen 5-7 Bier bringt auch nichts.
    Da würde ich mal empfehlen, dir die Wirkung von Alkohol näher anzusehen. Dann weißt du auch, warum.
    Deine Selbstversuche, wenn überhaupt werden scheitern, so ist jedenfalls meine Meinung.
    Selbst wenn die Entgiftung gut gehen sollte hast du danach keinerlei Netze gespannt ,die dich da auffangen könnten. Womit wir wieder beim Thema wären, denn danach weißt du nichts Besseres, als dich selber wieder zu bedauern, und das ganze von vorne zu starten.
    Eigentlich bist du doch schon gut verbreitet, du kennst dich bestens mit den kleinen Pillen aus, dann kannst du die doch nehmen, und du bist glücklich. Dann brauchst du noch nicht einmal Alkohol.
    Ich und viele andere haben auch aufhören wollen, ja es ist ein steiniger Weg, aber er ist gangbar.
    Und viele hier sind diesen Weg gegangen, aber sie sind ihn alleine gegangen, oder mit Hilfe, bis sie alleine gehen konnten.
    LG
    dAUN

    Der Weg ist das Ziel<br />Konfuzius (551–479 v. Chr.

  • Hallo habssatt,
    Danke dir, dass du etwas mehr über dich schreibst, so kann zumindest ich mir eine genauere Vorstellung von dir machen und von dem, was dich so umtreibt.

    Dass du das Projekt nun wegen verschiedener Stressfaktoren, die gerade anstehen, abgeblasen hast, klingt für mich danach, dass du dich zwar mit den Entzugsmedikamenten näher beschäftigt hast, weniger aber mit dem restlichen Drumherum.

    Wie sehr solche „Kleinigkeiten“, wie du sie aufzählst, jemanden mit Depressionen überfordern können, weiß ich selbst krankheitsbedingt leider nur zu gut. Umso mehr aber frage ich mich, warum du dich mit deinem „ambulanten“ Entzug derart überforderst.

    Nun war ich selbst nicht wegen eines Entzugs in der Klinik, sondern wegen Depressionen, die bei mir VOR dem Alkohol kamen, aber ich erinnere mich gut an den Schutz der sogenannten „Käseglocke“, den ich damals als ungeheuer hilfreich kennenlernte. Die Klinik selbst war nicht so besonders dolle und ich würde, falls das nochmals notwendig werden sollte, gewiss eine andere wählen, aber sie hat mir zu jenem bestimmten Zeitpunkt das Leben gerettet.


    Ich empfinde es so dass eine Entgiftung nur möglich ist wenn alle Grundvoraussetzung wenigstens halbwegs in Ordnung sind.

    Das ist ja der Vorteil der „Käseglocke“ eines Klinikaufenthalts, er sorgt für die notwendigen Grundvoraussetzungen.

    Zum Entzug: Der körperliche Entzug ist das eine, viel interessanter, weil schwieriger, ist aber der psychische Entzug und genau dafür scheinen dir derzeit noch tragfähige Bewältigungsstrategien zu fehlen. Das würde jedenfalls erklären, weshalb dein Vorhaben zum zweiten Mal gescheitert ist. Und wenn du daran nicht wirklich etwas änderst, dürfte dein nächstes Vorhaben ab Mittwoch wieder auf ziemlich wackligen Beinen stehen.

    Als ich vor über 20 Monaten meine Alkoholabhängigkeit erkannte und mit dem Trinken aufhörte, habe ich so Manches, was ich in all der Zeit, seit ich diese Depressionserkrankung habe, gelernt habe, zur Bewältigung nutzen können.

    Du hast zwar den „Honeymoon“ des ersten Abstinenztages erlebt und überstanden, aber der allein hat noch nicht gereicht, um die auftretenden teilweise voraussehbaren „Kleinigkeiten“ zu überstehen.
    Darf ich dich fragen, wie sich das für dich anfühlt, dass du dein Vorhaben auch dieses Mal nicht umsetzen konntest? Setzt dir das zu oder bist du erleichtert, dich heute nochmals mit Alkohol „beruhigen“ zu dürfen?

    Beides dürfte nicht sonderlich gut für dich sein, weil es dich behindert.


    Wie wäre es, wenn du dieses Mal einen anderen Weg gehst?

    Da du dich eh von deiner Psychiaterin wegen „Depressionen“ hast krankschreiben lassen, könntest du mit ihr auch über einen Weg sprechen, ohne ein „Coming out“ einen Klinikaufenthalt auf dich nehmen zu können.

    Und wegen „Coming out“: Denk mal darüber nach, dass du, wenn du bei deiner Arbeit wegen „Depressionen“ ausfällst, für deinen Arbeitgeber u.U. weitaus unberechenbarer bist, als wenn du das eigentliche Problem offenlegst.
    Das heißt nicht, dass ich dir unbedingt zum „Coming out“ rate, das kannst letztlich nur du selbst ermessen, ob dir das Probleme einbringt oder deine Situation möglicherweise erleichtert.
    Ich weiß nur, dass es reichlich Probleme einbringen kann, wenn man sein Alkoholproblem nicht in den Griff bekommt und der Arbeitgeber zufällig Wind davon bekommt.

    Du kannst hier von Menschen lesen, die auf ein „Coming out“ überraschend positive Rückmeldungen bekommen haben.

    Vielleicht prüfst du für dich diese Option einfach mal?



    Die Beunruhigung wegen Diazepam kann ich wirklich verstehen, aber ich nehme das Zeug nur deswegen weil ich nicht Tiaprid sonstwie hochdosieren möchte. Denn in den Nebenwirkungen des Beipackzettels steht dass es den Herzrhythmus verändern kann und ich habe wirklich eine Phobie gegenüber speziell diesem Effekt, der natürlich auch während einer Entgiftung auftreten kann.

    Wenn ich das richtig verstehe, hast du über genau diese Ängste nicht mit deiner Psychiaterin geredet. Genau das wäre aber wichtig für dich gewesen. In den sieben Jahren seit ich Medikamente nehmen muss, habe ich erlebt, wie mein Psychiater insbesondere dann, wenn ein Wechsel oder ein zusätzliches Medikament infrage kam, immer wieder die Wechselwirkungen zwischen den verschiedenen Medikamenten abklärt und mit mir bespricht. Nun magst du dich etwas näher eingelesen haben, aber ich frage mich, warum du dich diesbezüglich nicht mit ihr, die schließlich eine Fachfrau für diese Dinge ist, besprichst und ihrer Kompetenz vertraust.

    Gerade weil du alkoholabhängig bist, würde ich das Abhängigkeitspotential von Diazepam nicht auf die leichte Schulter nehmen. Wenn das in einer Klinik so gemacht wird, ist das dennoch etwas anderes, als wenn du das zuhause auf Eigeninitiative machst und dann auch noch auf Zeugs vom Schwarzmarkt zurückgreifst. Ich kann ehrlich gesagt nicht nachvollziehen, warum du ein derartiges Risiko eingehst, insbesondere da du sonst so reflektiert zu sein scheinst.



    Wenn ich abstinent bin und auch wieder arbeite würde ich gerne hier wieder schreiben und berichten dürfen. Dass der Alltag überhaupt nicht einfach sein wird ist mir vollkommen klar. Die ganzen Assoziationen Arbeit > Feierabendbier sind wie eingefräste Automatismen. Und wie ist es mit im Sommer Freunde treffen? Wenn die dann alle eine Flaschenbier trinken? Natürlich wird das überhaupt nicht einfach.
    Hauptproblem für mich ist der Umgang mit seelisch/psychisch stressigen Situationen. Auf die Arbeit beschränkt ist das noch halbwegs erträglich (obwohl ich mir da einen sehr krassen Job mit sozialen Interaktionen ausgesucht habe), aber selbst Besuche bei den mittlerweise greisen Eltern sind im Moment kaum vorstellbar ohne abends ein paar Glas Wein zu trinken.

    Wie gut ein Leben ohne Alkohol laufen kann, hast du ja schon einmal erlebt, daher hast du schon eine Ahnung, worauf du dich freuen kannst. Du kannst hier gerne wieder schreiben. Auf deine Fragen können wir dir gewiss ein paar weiterhelfende Antworten geben.

    Ich selbst bin inzwischen 20 Monate abstinent und bin mit meinem Alltag meistens (krankheitsbedingt manchmal nicht) ziemlich zufrieden. Alkohol spielt in meinem Leben überhaupt keine Rolle mehr und er fehlt mir auch ganz und gar nicht.

    Wenn bei dir Depressionen die sekundäre Diagnose ist, dann dürfte für dich möglicherweise sogar die Aussicht bestehen, dass die im Laufe deiner Abstinenz weniger werden oder sogar ganz verschwinden. Ich würd‘s dir wünschen.

    Zum Besuch einer SHG: Natürlich solltest du da nicht angetrunken aufschlagen, aber ich denke schon, dass du dich da hintrauen darfst. Überleg dir mal, was für eine überaus wertvolle Ressource du dir entgegen lässt, wenn du nicht hingehst.

    Beste Grüße und gute Besserung
    AmSee

    Du kannst nicht zurückgehen und den Anfang ändern,
    aber du kannst jetzt neu anfangen und das Ende ändern.

  • Morgen Morgen nur nicht heute sagen alle Faulen Leute.
    Sag doch dann einfach, ich will doch gar nicht aufhören.
    Ihr könnt mich hier ein bisschen betüdeln und das wars.
    So wie ich mal gehört habe, soll es in Berlin eine Menge Shg Gruppen geben.
    Wenn du wirklich was verändern willst, dann kannst du heute schon eine besuchen.
    Rumjammern bringt dir gar nichts.

    Dem kann ich nur zustimmen 44.
    Und als Berliner kann ich auch bestätigen, dass wir hier - was die Anzahl und Vielfalt an SHG betrifft - in einer ÜBERAUS komfortablen Situation sind.
    Ich habe damals, nach meiner letzten Entgiftung, 14 Tage lang, JEDEN TAG eine andere Gruppe besucht, um die für mich richtige zu finden. Und das waren nur die in meiner näheren Umgebung!

    Zitat

    Zum Besuch einer SHG: Natürlich solltest du da nicht angetrunken aufschlagen, aber ich denke schon, dass du dich da hintrauen darfst. Überleg dir mal, was für eine überaus wertvolle Ressource du dir entgegen lässt, wenn du nicht hingehst.

    Natürlich kann ich nicht für alle SHG sprechen, aber in "meine" kamen des Öfteren Menschen, die noch nicht trocken waren. Eben, um sich Rat zu holen, wie sie den Absprung wagen sollen. Was kommt danach. Und auch Rückfälle gehören zu unserem Leben leider dazu - aber da ist Scham nicht angebracht: die Ursachen müssen gesucht und aufgearbeitet werden, damit es nicht wieder dazu kommt.
    In meinen Gesprächen auf den Entgiftungsstationen spreche ich immer wieder davon "Selbsthilfegruppen - wozu eigentlich".
    Natürlich sind sie kein Allheilmittel. Aber ein sehr, sehr starkes Hilfsmittel.

    Du sprichst die AA an und dass Du schon mal bei ihnen warst. Was hindert Dich daran, jetzt schon wieder hinzugehen (bevor Du etwas getrunken hast) und einfach den Menscehn zuzuhören? Was hindert Dich daran, einfach mal Rat zu holen in einer SHG, wenn es Dir Dein Ego schon nicht erlaubt, in eine Suchtberatung zu gehen?

    Ein paar Gründe, warum Du Dein Vorhaben aufgeschoben hast, hast Du aufgezählt. Nun gut. Beim nächsten Versuch werden es vielleicht die Nudeln sein, die Du vergessen hast zu kaufen oder der Sack Reis, der umgefallen ist?
    Für mich waren sie jedenfalls nicht stichhaltig. Ebenso wie Dein "Plan" für danach. Klingt eher wie "Oh, Schit - die wollen was hören! Was sag ich denn jetzt auf die Schnelle?"

    Zitat

    Morgen Morgen nur nicht heute sagen alle Faulen Leute.
    Sag doch dann einfach, ich will doch gar nicht aufhören.
    Ihr könnt mich hier ein bisschen betüdeln und das wars.

    So, ich hoffe, ich habe genug gestichelt und Dir ein paar Denkanregungen gegeben.
    Wie gesagt, nimm's nicht krumm - aber ich halte nicht von "durch die Blume pusten" ...

    Gruß
    Greenfox

    Es rettet uns kein höh’res Wesen,

    kein Gott, kein Kaiser noch Tribun

    Uns aus dem Elend zu erlösen

    können wir nur selber tun!


  • Darf ich dich fragen, wie sich das für dich anfühlt, dass du dein Vorhaben auch dieses Mal nicht umsetzen konntest? Setzt dir das zu oder bist du erleichtert, dich heute nochmals mit Alkohol „beruhigen“ zu dürfen?

    Beides dürfte nicht sonderlich gut für dich sein, weil es dich behindert.

    Beides kommt vor. Wobei die "beruhigende" Wirkung des Alkohols erst einsetzt, wenn ich wenigstens einen neuen Plan habe wie es weitergehen könnte und zwar mit dem Aufhören, z.B. am Mittwoch eben. Denn das Trinken macht mir schon seit langem keinen "Spaß" mehr. Irgendwann vor Corona hat es das letzte Mal Spaß gemacht, im Zusammenhang mit Ausgehen mit Freunden. Das war aber auch ein einzelner Event. Das zuhause alleine trinken ist seit Jahren ein elender Zustand, was mich natürlich nicht daran hindert allabendlich keinen Abschluss zu finden. Insgesamt setzt es mir zu, keine Frage. Jedes erneute Scheitern ist reine Depression, so viel Zeit geht drauf für "Trial & Error". Es kostet Kraft neu zu starten, nicht weil ich eigentlich saufen will, sondern weil ich dann nur noch umgeben bin von den Folgen der Nicht-Abstinenz. Wann habe ich zuletzt meine Wohnung geputzt, wie oft dusche ich eigentlich? Was ist das für ein Leben, mit leeren Pfandflaschen zum Kiosk zu latschen, an einem gut besuchten Straßencafe vorbei, klimpernd, voller Scham.

    "Morgen Morgen nur nicht heute sagen alle Faulen Leute." ist auch so eine Sache. Vielleicht bin ich Zwangsneurotiker, denn ich brauche immer einen Plan, ich kann nicht spontan mal eben aufhören zu trinken. Das Schwierigste ist ohne Frage das Trockenbleiben, aber diese Verwandlung in die Abstinenz hinein habe ich öfters erlebt und das kann nach meiner Erfahrung funktionieren wenn ich mir einen Startpunkt setze der realistisch erscheint und ich nicht gleichzeitig noch viele existenzielle Dinge regeln muss, die mich eh nicht zur Ruhe kommen lassen. Und Ruhe ist mit eine Voraussetzung dass ich überhaupt in die kritische Phase der Entgiftung eintreten kann. Am schwierigsten finde ich den Entzug am 2. Tag, da schreit das Craving die ganze Zeit rum, und die Rückfallgefahr ist nach meiner Erfahrung direkt am Anfang sehr groß, z.B. an Tag 3 oder 4, wenn mir eine Stimme im Kopf sagt dass es jetzt auch mal reiche mit der Selbstgeißelung und ich es doch eh nicht schaffen würde. Wenn ich darüber hinaus bin kann es aber aufwärts gehen. Selbst ich als Depressiver kann an Tag 6 oder so zufrieden einschlafen und stolz sein es so weit geschafft zu haben. Und das ist nicht einfach und geht nur mit halbwegs Vertrauen in die Unternehmung.
    Warum ich am liebsten gerne wieder arbeiten würde liegt auch an meiner Erfahrung dass ich oft an Tag 7 oder so auf einmal ohne ersichtlichen Grund wieder in eine Art Depression verfalle. Nicht unerklärliche Traurigkeit, sondern ein Gefühl von Leere. Und auch Sinnlosigkeit. In sofern wäre es nicht gut die Abstinenz alleine mit mir zuhause auszumachen, sondern etwas Alltagsstruktur ist da schon hilfreich. Wäre ich superreich würde ich vielleicht auf eine einsame Insel in den Urlaub fliegen. Aber das mit der Arbeit ist eben praktische Realitätserprobung. Die harte Tour, ja, aber Flucht vor meinem Leben hab ich jetzt ja genug betrieben, bin seit Wochen krankgeschrieben. Es war angebracht, denn arbeitsfähig war ich zuletzt kaum noch, aber Erlösung hat es auch nicht gebracht.

    Das klingt alles sehr pathetisch ich weiss.
    Und dass ich "danach keinerlei Netze gespannt" gespannt habe ... ist nur so halb richtig. Auch "wenn es Dir Dein Ego schon nicht erlaubt, in eine Suchtberatung zu gehen?" Wie gesagt erwäge ich neben den SHG eine ambulante Reha, Problem halt nur das wird dauern bis die durchkommt. Paradoxerweise kommt eine Beantragung eher durch wenn man bereits einige Wochen Abstinenz vorzuweisen hat, nicht etwa nur weil man vorhat nichts mehr zu trinken. Das funktioniert natürlich über den Kontakt mit einer Suchtberatungsstelle. Ich war auch schon ein halbes Dutzend mal bei einer, fand die gut, möchte jetzt aber zu einer anderen desselben Trägers, der in einem anderen Stadtteil liegt (was mit meiner Arbeit zu tun hat). Die offene Sprechstunde habe ich schon fest eingeplant. Sie ist kommenden Montag.

    Jetzt heisst es erstmal für mich meinen Job behalten, meine Chefs habe ich heute nämlich beide nicht erreicht und ich wurde auch nicht zurückgerufen, das machte mich etwas paranoid. Gerade habe ich meine Chefin per WhatsApp erreicht, immerhin. Bislang waren sie sehr verständnisvoll dort, wissen dass die offiziell attestierte Depression eine relativ langwierige und schwere Krankheit ist. Aber ich habe gleichzeitig große Angst dass der Geduldsfaden reißt. Immerhin habe ich, wie ich zufällig mitbekommen habe, eine Betriebsfeier "verpasst". Das wäre nämlich ein Supergau gewesen, gerade frisch abstinent und guter Dinge in so eine soziale Situation mit Alkohol in Strömen geworfen zu werden. Meine Arbeit in den nächsten Wochen wird wegen der zahlreichen Urlaubsvertretungen (KollegInnen mit Kindern, Sommerferien) nicht gerade lasch, aber ich habe die Hoffnung dass mich das eher anfeuert.
    Ich hab mittlerweile in diesem Forum gesehen dass sich mehrere Threads mit den Fragen auseinandersetzen die ich dann täglich am Feierabend haben werde. Und natürlich muss ich mir was dazu überlegen, nass bin ich dazu aber nicht in der Lage, ich plane gerne ins Voraus, aber ich bin ne Woche nüchtern schon anders als heute abend. Deswegen werde ich ggf. auf dieses Forum noch mehr zurückgreifen, obwohl ich gleichzeitig mir eine gewisse Offline-Zeit verschreibe. Einfach weil ich als Säufer oft (mangels Alternativen auch) stundenlang vor dem PC saß mit dem Bier daneben. Ich versuche den PC als nützliches Tool zu benutzen, aber nicht mehr für eine Abendgestaltung. AA-Online-Meetings finden über ein separates Notebook statt, das hat eine Kamera. Den großen Computer werde ich voraussichtlich weniger einschalten. Zu direkte PC>Bier-Verbindung.

    Und noch @AmSee: Meine Depression ist mittlerweile sekundär weil das Alkoholproblem natürlich alles überlagert. Aber tatsächlich war ich ebenfalls auch schon wegen Depression in Behandlung, 1998 mal in jungem Alter von 19 in einer psychosomatischen Klinik. Es ging um eine "rezidivierende Depression", rein praktisch aber auch um einen "Ablösungskonflikt" vom Elternhaus. Meine Eltern meinten nachvollziehbarer Weise ich solle einfach eine Lehre machen, nachdem ich das Gymnasium abgebrochen hatte. Von meinen psychischen Schwierigkeiten (inkl. Sozialphobie und eben typisch jugendlicher Orientierungslosigkeit) hatten sie nicht so den Plan. Damals habe ich jedenfalls überhaupt gar kein Bier getrunken weil ich die ca. 4 1/2 Jahre davor eher täglicher Kiffer war. Auch mit synthetischen Drogen hatte ich als Jugendlicher experimentiert, dadurch dürfte auch die eine oder andere Synapse durchgebrannt sein. Den Alkohol praktizierte ich erst ab ca. 20, als ich mit allen Drogen aufgehört hatte und der relativ exzessive Konsum stellte sich da relativ sofort ein. Wie eine Suchtverlagerung. Schließlich tranken ja alle (nur meist weniger als ich) und ich hatte in meinen 20ern natürlich viel Bedarf nach Nightlife und dergleichen.

    Was mir Hoffnung macht oder wovon ich träume sind die 3 1/2 Jahre Abstinenz in den 00er-Jahren, die waren wirklich gut. In der Zeit habe ich auch viel für mich geschafft, war relativ zufrieden mit allem. Mein Abi habe ich damals nachgeholt und auch mit einem Studium angefangen, das ich aber erst viele Jahre später, mit etlichen Jahren Pause, abgeschlossen habe. Die Früchte des Studiums halte ich gerade mit dem Job in der Hand und deswegen will ich ihn keinesfalls verlieren. Zwischendrin, ca. 2010, hatte ich nochmals eine schwer depressive Phase, da ging gar nichts mehr, und ich bin sicher dass der Alkohol damals auch einen wesentlichen Anteil hatte, auch die Enttäuschung dass ich so abgebaut hatte nach einer kurzzeitigen Hochphase von immerhin 3 1/2 Jahren. Damals war ich in Behandlung in der "suchtnahen Psychosomatik", also stationäre Therapie für Doppeldiagnosen, thematisch aber viel mehr auf Sucht konzentriert.
    Danach ging es mir besser und ich habe in den kommenden Jahren viel erreicht und erlebt, nur trocken war ich eben nicht. Es ging mir in den folgenden Jahren bei weitem nicht so schlecht wie heute, obwohl ich regelmäßig becherte, eigentlich gar nix Soziales ohne Alkohol unternahm, das ist mir heute alles klar.

    Ich finde die Zeit ist reif für eine Veränderung, und eigentlich ist die Zeit gerade jetzt auch ganz gut, weil gerade Sommer ist. Wenigstens an den Wochenenden könnte ich endlich wieder radfahren. Mein Mountain Bike steht seit Jahren rum, meine Kondition ist katastrophal, ich habe seit einigen Jahren auch einen Bierbauch.

    Ich hoffe dass sich morgen früh alles klärt, mit meinen Chefs und meiner Ärztin. Dann habe ich nur ein Ziel: Dass ich nicht mehr trinke, dass es mir vor allem besser geht, dass ich wieder in Kontakt komme mit mir selbst, nackig, sicherlich verletzlich und im übrigen rückfallgefährdet. Ich bin bereit dem Thema die Hauptrolle einzuräumen, durch AA (andere SHGs gingen theoretisch auch, aber mir erschienen zum Beispiel Meetings bei den Guttemplern oder einem anderen nur in Berlin tätigen Verein etwas planlos, obwohl hochsympathisch, AA haben einfach die höhere Dichte, z.B. täglich online und fast täglich in meinem Umkreis), Suchtberatung und hoffentlich ambulante Reha (mit Einzeltherapie und Gruppentherapie), mir ist es aber wichtig den Kontakt mit meinem realen Leben nicht zu verlieren, das mich ja darüber hinaus auch noch halbwegs definiert. Fiele das auch noch weg habe ich große Angst dass nur noch das Elend zurückbleibt. Ich will (noch) nicht in einen Wald gärtnern und töpfern (Langzeittherapie, die ich nicht schlecht reden will, aber für mich eine Entscheidung aus meinem Leben vorerst ganz auszusteigen, macht mir daher Angst), das mache ich wenn überhaupt gar nichts mehr auf die Reihe zu bringen ist, wie 2010. Noch kann/will ich nicht aufgeben, von mir aus ist das Eingebildetheit oder Ignoranz.

    Ich habe jetzt viel schreiben können/müssen, für Eure geschulten Ohren mit Sicherheit alles nix Neues, womöglich geradezu klassischer Verlauf.
    Wie oben beschrieben beabsichtige ich gelegentliche Updates hier zu posten und danke für diese Möglichkeit.

    Euer
    habssatt

  • Hallo habsatt

    Viel möchte ich gar nicht schreiben, da ich mich mit den Themen Medikamente , AA und Entzugskliniken nicht auskenne.
    Deshalb fühle ich mich in diesen Bereichen nicht sicher ,darauf etwas zu antworten.

    Ich habe mit dem Trinken aufgehört,ohne die oben genannten Unterstützungen.

    Trotzdem möchte ich dir schreiben und mitteilen, dass mich deine Geschichte, die du präzise beschreibst, sehr bewegt hat.
    Du kämpfst ganz ordentlich mit dir und du versuchst diesen Ausstieg zu finden ,der dich in dauerhafte Abstinenz führt.

    Ich kann mich in diesen Punkt sehr gut hineinversetzen,da es bei mir auch ein langer Prozess war ,bis ich es tatsächlich angegangen bin ,obwohl ich schon Jahre davor den Wunsch hatte , mit dem Trinken aufzuhören.
    So richtig wollte es mir eine Zeit lang nicht gelingen.
    Der Überdruss des Alkohols war zwar vorhanden, aber auch die Sorge ,dass ich es ohne gar nicht lebenswert finden könnte.

    Im Gegensatz zu dir wusste ich nicht ,wie toll es ist ,jahrelang ohne Alkohol leben zu können.
    Ich trank nämlich schon recht früh und das zog sich durch die Jahre so dahin ,es war ganz normal für mich ,dass Alkohol zum Leben dazugehörte.

    Das ist auch der Grund weshalb ich dir schreiben möchte : ich wünsche dir ,dass du auf diese alkoholfreie Erfahrung, die du so positiv bewertest zurück greifen kannst und dass diese Zeit ohne Alkohol für dich ein lohnenswertes Ziel wird,das du anstrebst und zwar mit all den positiven Erlebnissen und Wahrnehmungen,die du damit verbindest.

    Als ich im Oktober 2020 aufhörte zu trinken , wusste ich noch nicht ,was mich erwartet,schließlich hatte ich keine Ahnung, wie es sein kann ohne den Wein,den ich jahrelang konsumiert hatte.

    Heute bin ich sehr froh,frei zu sein von diesen elendigen Gefühlen, die mit dem Alkohol zusammen hängen , die du sehr plastisch beschrieben hast.
    Ich bin froh ,nicht mehr süchtig zu sein und das schönste daran ist: ich muss nicht mehr trinken.
    Ich bin frei davon.

    Welcher Weg und welcher Zeitpunkt richtig ist ,entscheidet jeder und jede nach eigenem Ermessen.
    Und sollten es jetzt noch "Ausreden" oder "Ausflüchte" bei dir sein ,so bin ich sicher ,dass du das für dich alleine am besten beantworten kannst.
    Jeder Weg ist ein anderer und vielleicht braucht es auch noch eine Weile ,bis der entscheidende Moment tatsächlich gekommen ist ,um endlich aufzuhören.
    Mein Eindruck von dir ist ,dass du nah dran bist am Ausstieg, deine inneren Kämpfe sind jedenfalls mit einem hohen Leidensdruck verbunden.
    Das zumindest ist mein Eindruck.
    Ich wünsche dir alles Gute und einen unbeirrbaren Fokus auf die Zeit ,die du damals OHNE Alkohol hattest,damit du diesen Weg dorthin wieder finden kannst


    Es würde mich freuen, wenn du wieder mal berichtest,wie es dir geht.

    Alles Gute
    Orangina

  • Hallo habssatt.

    Ich fange mal von hinten an:


    Ich habe jetzt viel schreiben können/müssen, für Eure geschulten Ohren mit Sicherheit alles nix Neues, womöglich geradezu klassischer Verlauf.

    Ob das ein geradezu klassischer Verlauf ist oder für einige von uns hier „nix Neues“, spielt eigentlich keine Rolle, denn hier an dieser Stelle geht es gerade um DICH und wir können dich eigentlich nur kennenlernen, wenn du von dir erzählst.

    Mir hat übrigens am Anfang das Schreiben sehr geholfen, mich zu sortieren, und ich hab wahrlich VIEL geschrieben. Und glücklicherweise habe ich hier echt gute Gesprächspartner gefunden, die das ausgehalten haben und sich mit mir abgegeben haben.

    Beides kommt vor. Wobei die "beruhigende" Wirkung des Alkohols erst einsetzt, wenn ich wenigstens einen neuen Plan habe wie es weitergehen könnte und zwar mit dem Aufhören, z.B. am Mittwoch eben.

    Die Frage ist, ob du wirklich nicht mehr willst oder ob du dem Alkohol doch noch etwas „Schönes“ abgewinnen kannst.
    Mit Alkohol kann man negative Gefühle für eine Weile betäuben. Deshalb drängt sich dieses Mittel, einmal gelernt, ja immer wieder so gerne auf.
    Dummerweise gehen die Probleme davon nicht wirklich weg und das ist dir auch bewusst.


    Am schwierigsten finde ich den Entzug am 2. Tag, da schreit das Craving die ganze Zeit rum, und die Rückfallgefahr ist nach meiner Erfahrung direkt am Anfang sehr groß, z.B. an Tag 3 oder 4, wenn mir eine Stimme im Kopf sagt dass es jetzt auch mal reiche mit der Selbstgeißelung und ich es doch eh nicht schaffen würde.

    Hast du schon mal von sowas wie „Innerer Kritiker“ gehört?
    Diese Stimmen im Kopf könntest du mal näher zu identifizieren versuchen. Kennst du diesen Satz „Du schaffst das eh nicht.“ aus deiner Kindheit oder Jugend? Es dürfte nämlich ein Satz sein, der die in Kindheit oder Jugend implementiert worden ist und den du dann für dich in Form eines sogenannten „Inneren Kritikers“ verinnerlicht hast.
    Erinnere dich, wer einen solchen Satz zu dir gesagt haben könnte und was seine Motive hinter diesem Satz waren. Das erleichtert dir die Konfrontation mit dieser Stimme.

    Dass dieser Satz total entwertend und hinderlich ist, muss ich dir kaum sagen, und dass er nicht zutreffend ist, zeigt ein Blick deine Biografie.

    Solche Auseinandersetzungen mit kritischen, entwertenden Inneren Stimmen kosten unheimlich viel Kraft, deshalb lohnt es sich, diesem Thema mal näher nachzugehen. In unserer Bücherecke kannst du eine Buchempfehlung zu diesem Thema finden.


    Warum ich am liebsten gerne wieder arbeiten würde liegt auch an meiner Erfahrung dass ich oft an Tag 7 oder so auf einmal ohne ersichtlichen Grund wieder in eine Art Depression verfalle. Nicht unerklärliche Traurigkeit, sondern ein Gefühl von Leere. Und auch Sinnlosigkeit.

    Das hat mit der Neurobiologie der Sucht, genauer biochemischen Veränderungen in deinem Gehirn zu tun. Vielleicht wäre es für dich interessant und hilfreich, dich auch damit etwas näher zu beschäftigen. Du findest in unserer Linksammlung einen recht informativen Artikel zu diesem Thema.

    Mir selbst hat das Wissen über diese biochemischen Prozesse weitergeholfen, weil es für das, was mit mir passierte, eine für mich nachvollziehbare rationale Erklärung gab und ich mein Empfinden darin einordnen konnte.

    Kurz gesagt hast du durch deinen Alkoholmissbrauch dafür gesorgt, dass in deinem Gehirn sehr viel mehr Dopamin-Rezeptoren gebildet werden als es normalerweise sind. Dadurch, dass dein Gehirn wegen deiner Abstinenz nun nicht mehr mit Dopamin überflutet wird, werden diese Rezeptoren nicht mehr bedient, was dich eine Unterversorgung spüren lässt und zu diesem Gefühl von Leere und Sinnlosigkeit spüren lässt.
    Die gute Nachricht ist, dass sich im Laufe der Abstinenz im Gehirn wieder alles einpendelt. Es dauert nur eine Weile.

    Bis hierhin erstmal ein paar Anregungen von meiner Seite.

    Beste Grüße
    AmSee

    Du kannst nicht zurückgehen und den Anfang ändern,
    aber du kannst jetzt neu anfangen und das Ende ändern.

  • Danke Orangina und AmSee

    für Eure Antworten, die mir beide ein besseres Gefühl geben.
    Ich muss morgen eigentlich nur die morgendlichen Stunden zwischen ca. 08.30 und eventuell 12 überstehen, dann habe ich Klarheit über alles Wesentliche und kann mein Projekt starten.

    @AmSee: Ich weiss nicht woher der "innere Kritiker" kommt. Ganz psychoanalytisch könnte ich meine ambivalente Kindheit auspacken, also widersprüchliche Erziehung quasi durch Vater und Mutter. Aber das führt zu weit oder wäre eher etwas für Therapie, die ich hoffentlich machen kann.
    Ob ich Alkohol etwas "Schönes" abgewinnen kann? Natürlich. Ich erlebe es zwar nicht mehr so, aber die Erinnerung an "schöne" Momente nicht nur mit Alkohol, sondern auch mit diversen Drogen, die ich mal nahm, sind noch da. Meine erste MDMA-Tablette nahm ich mit besten Freunden in einem Stadtpark und wir hörten quasi förmlich das Gras wachsen und wollten uns nur noch umarmen. Es fühlte sich körperlich an wie ein langgezogener Orgasmus. Mit loser Zunge lange Nächte politisch diskutieren in einer Kreuzberger Kneipe mit einem Dutzend Bieren habe ich auch noch gut bis mittelgut in Erinnerung. Ich leugne das alles keinesfalls.
    Alkohol ist zudem, teilweise unberechenbar, aber doch in gewisser Weise zuverlässig wirkungsvoll. Einer Flasche Bier würde ich in etwa die Wirkmächtigkeit eines halben Joints zuschreiben. Die Verfügbarkeit ist verlockend wie bedrohlich.
    Die Realität überwiegt aber bei weitem: Ich diskutiere mit niemandem spannend wenn ich trinke, ich bin einfach ein schlaffer Sack, das nächste Bier stets im Kopf, panische Angst vor einem leeren Kühlschrank, es ist erbärmlich.
    Daher ja: Mir erscheint Bier wie ein Medikament, ein relativ hartes Medikament. Aber es hat eine Langzeitwirkung die die totale geistige, körperliche und psychische Abschlaffung bedeutet. So erlebe ich das seit unzähligen Monaten.
    Ich habe mir bei meinen stetigen Abstinenzbestrebungen oft eine Hintertür gelassen. Eine Kosten/Nutzen-Rechnung quasi. z.B. würde mich Person X auf ein Bier einladen würde ich eine Ausnahme machen oder sogar käme es zu Party Y würde ich vielleicht eine Line Speed ziehen. Einfach als Ausnahme, weil soziale Erlebnisse wichtiger sind als strikte Askese in Einsamkeit, dachte ich.
    Aufgrund meines andauernden Leidensdrucks bin ich davon erstens weg und zweitens ist es längst so dass mich weder Person X fragen würde noch eine Party Y in Sichtweise ist, ich drehe mich permanent im Kreis, das ist alles. Ich glaube nicht an Esoterik oder arg spirituelle Ansätze, aber mir selber raten würde ich erstmal das wenige zusammenzuhalten das noch da ist (Job, eine Handvoll Freunde, die alle nicht "feiern" gehen, meine alternde Familie, die mich teilweise braucht, meine Gesundheit, die stetig abbaut und etwas Beachtung verdient) und was möglich ist (Wunsch: Rückkehr zu körperlicher Fitness, nicht mega-sportlich, aber das Radfahren ist mir halt echt wichtig, das hat immer Glücksgefühle verursacht; Pflege meiner Gehirnzellen, solange sie noch da sind, ich war mal gut im Schreiben bzw. hatte Spaß an der Beschäftigung mit komplexen Themen). Ich habe, bis auf Einkaufen, während der Zeit meiner Krankschreibung, und das waren Wochen (!), 99% meiner Zeit alleine in meiner Wohnung verbracht. Und davor war auch noch Corona. Das Bier kettet mich in diese Situation.
    Es ist halt gemein, ich habe mit Kiffen aufgehört von heute auf morgen, ich habe mit chemischen Drogen aufgehört, von heute auf morgen. Die einzige Droge die mich wirklich fies im Griff hat ist der Alkohol. Und es spielt keine Rolle dass das "nur" Bier ist. Bier habe ich mir vermutlich bewusst ausgewählt, weil es nicht sofort besoffen macht, sondern eher "sanft" da rein gleitet.

    Danke für die Links, werde mir Buch- und Linksammlung anschauen.
    Gerade die neurobiologischen Aspekte interessieren mich ja quasi sehr, wie vielleicht angedeutet, bislang aber eher auf die Entgiftung bezogen. Wegen einer möglichen Medikation danach bin ich mir sehr unsicher, werde ich morgen mit der Psychiaterin besprechen. Ich weiss dass sie Baclofen verschreiben würde, das hat sie mir zuliebe bereits klargemacht, aber ich habe den Eindruck dass ihr darüber nicht so viel Anderes einfällt, weil das einfach nicht ihr Gebiet ist. Ich habe auch vor Jahren mal eine ambulante Entgiftung in der Charite gemacht, die hatten mir damals mehrere Medikamente angeboten, u.a. Naltrexon und was ganz Experimentelles, leider weiss ich den Namen nicht mehr. In Frankfurt/M. wurde mir seinerseits, als ich aufhörte zu trinken, gleich ein Cocktail dargeboten. Waren im Wesentlichen Antiepilektika, z.B. Valproat. Das sollte Suchtdruck lindern und emotionale Überreaktionen verhindern. Hab damals alles genommen was mir verschrieben wurde, die Ablenkung durch die Pillen (ohne dass sie einen tollen spürbaren Effekt gehabt haben hätten) hat vielleicht auch geholfen. Ich nehme andererseits aber aktuell halt schon Einiges (Bupropion, Mirtazapin - in der niedrigsten Dosis die möglich ist: 7,5mg, und bis auf weiteres auch Tiaprid in niedriger Dosierung).

    Sorry, kann nix Sinnvolles mehr schreiben. In wenigen Minuten ist schon Mittwoch und ich bin aufgeregt was in den frühen Morgenstunden denn rauskommt, insbesondere in Bezug auf meinen Job.

    Danke für Eure Rückmeldungen und bis auf demnächst,
    habssatt

  • P.S.: Das Valproat etc. in Frankfurt/M. hatte ich aber nur wenige Wochen genommen, danach alles abgesetzt. Bin also nicht wegen Medikamenten trocken geblieben damals.

  • Hallo habssatt.


    @AmSee: Ich weiss nicht woher der "innere Kritiker" kommt. Ganz psychoanalytisch könnte ich meine ambivalente Kindheit auspacken, also widersprüchliche Erziehung quasi durch Vater und Mutter. Aber das führt zu weit oder wäre eher etwas für Therapie, die ich hoffentlich machen kann.

    Die Fragen, die ich dir diesbezüglich gestellt habe, musst du hier auch gar nicht beantworten, sondern sie waren eher als Gedankenanregung gedacht.
    Ich bin kein Therapeut, sondern nur selbst Betroffene und abgesehen davon ist hier auch nicht der Ort für Beratung oder Therapie. Dafür solltest du dich an entsprechende Fachleute wenden, wenn das ein Thema für dich ist.

    Das mit dem sogenannten „Inneren Kritiker“ ist ein Thema, mit dem ich mich selbst schon eine Weile beschäftige und mir bereits einige Klärung und sogar Erleichterung gebracht hat. Ich bin bei mir selbst dabei, solche entwertenden, sabotierenden Inneren Stimmen, d.h. meinen negativen Umgang mit mir selbst, zu identifizieren, zu benennen und mich damit auseinanderzusetzen.
    Da ich alleine diesbezüglich nicht weitergekommen bin, habe ich mir schließlich einen Therapeuten gesucht. Ich erlebe dessen Hilfe derzeit als sehr, sehr wertvoll.

    Ob dieses Thema „Auseinandersetzung mit dem sogenannten „Inneren Kritiker“ auch ein Thema für dich ist, kannst nur du selbst entscheiden, der Gedanke daran drängte sich mir nur auf, als ich von diesen Stimmen bzw. Sätzen las, die dich während der ersten Tage deines Entzugs behindern bzw. sabotieren.

    Und da du von der Ruhe schriebst, die bei dir eine Grundvoraussetzung für einen Entzug ist, drängte sich mir eine Vorstellung deiner Strategie auf und mit welchen zusätzlichen Hindernissen und innerlichen Saboteuren du zu tun haben könntest. Insofern kämpft du in diesen ersten Tagen nicht nur gegen die körperliche Sucht, sondern auch noch gegen dich selbst und das macht die Sache für dich zu einem besonderen Kraftakt.

    In der Theorie steht der sogenannte „Innere Kritiker“ für gewisse Glaubenssätze, die wir im Laufe unser kindlichen Entwicklung gehört und verinnerlicht haben. Ursprünglich gehören solche Glaubenssätze nicht zu uns, aber irgendwann werden sie ein Teil von uns und wir sagen sie zu uns selbst. So ein Satz wie „Du schaffst das eh nicht.“ dürfte einer solcher Glaubenssätze sein, weitere sind denkbar.

    Auch die andere Stimme „Jetzt reicht es mal mit der Selbstgeißelung.“ ist eine Stimme, mit der du dich näher beschäftigen und auseinandersetzen könntest. Überleg dir mal, was du der entgegen könntest bzw. welche Perspektive du der aufzeigen könntest. Was gewinnst du, wenn du’s diesmal durchziehst, was verlierst du oder geschieht, wenn du rückfällig wirst.
    Auch diese Fragen musst du nicht hier und auch nicht mir beantworten.

    Kurz gesagt: Ich vermute aufgrund dessen, was du von dir erzählst, dass du dir selbst während der ersten Tage des Entzugs mächtig psychischen Druck machst. Den mit Medikamenten zu regulieren ist meiner Erfahrung nach schwierig bis kaum möglich, da wären andere Ansätze möglicherweise sinnvoller. Hilfe diesbezüglich weiß möglicherweise eine Suchtberatungsstelle, vielleicht auch deine Psychiaterin.

    Ob ich damit richtig liege, kannst nur du selbst entscheiden.

    Hilfreich ist es meines Erachtens auch, sich gerade nicht auf das Negative, sondern auf das Positive zu konzentrieren.
    Hilfreich können ebenfalls kleine „Belohnungsinseln“ und positive Sätze sein.

    Auf das andere werde ich so nach und nach in Ruhe antworten.

    Grüße
    AmSee

    Du kannst nicht zurückgehen und den Anfang ändern,
    aber du kannst jetzt neu anfangen und das Ende ändern.

    Einmal editiert, zuletzt von AmSee13 (29. Juni 2022 um 08:55)


  • Ob ich Alkohol etwas "Schönes" abgewinnen kann? Natürlich. Ich erlebe es zwar nicht mehr so, aber die Erinnerung an "schöne" Momente nicht nur mit Alkohol, sondern auch mit diversen Drogen, die ich mal nahm, sind noch da.

    Ich gehöre nicht zu den Abstinenzlern, die ihre Suchtvergangenheit verteufeln, auch wenn ich heute über Alkohol und Suchtmittel anders denke als früher und mich fühle, als sei ich einer Gehirnwäsche entronnen.
    Es war eben so, dass ich an den Alkohol geraten bin und ich habe damit auch recht lustige Zeiten erlebt. Fertig aus.

    Das Problem aber, wenn man süchtig geworden ist und aussteigen will, ist, dass das Belohnungszentrum/ Suchtgedächtnis mit diesen positiven Erinnerungen argumentiert und arbeitet. Das Negative wird dabei völlig ausgeblendet.

    Alkohol und Drogen sind nun einmal eine sehr bequeme „Abkürzung“ für etwas, was auf natürlichem und gesundem Weg nur mit (echter) Anstrengung zu erreichen ist.
    Einmal erlernt, merkt sich das Belohnungszentrum diese tolle „Abkürzung“ und wird sie immer wieder vorschlagen bzw. einfordern.

    Dummerweise ist diese „Abkürzung“ alles andere als harmlos, wie du selbst inzwischen bemerkt hast. In der Neurobiologie und -chemie des Gehirns ändert sich etwas. Da das Gehirn mit der Überflutung von Dopamin und Co sozusagen überfordert ist, ergreift es Gegenmaßnahmen. In der Folge muss die ursprüngliche Dosis immer weiter erhöht werden, um das Empfinden zu erreichen, das man als positiv kennen- und schätzen gelernt hat. Irgendwann aber kippt das Ganze und es wird nicht einmal mehr ein positives Empfinden erreicht, sondern man muss konsumieren, weil’s einem ohne den Stoff nur noch dreckig geht. Wie weit du bereits körperlich abhängig bist, kann ich nicht beurteilen, aber einen negativen Zustand, der beim Alkoholmissbrauch aufkommt, beschreibst du hier


    Daher ja: Mir erscheint Bier wie ein Medikament, ein relativ hartes Medikament. Aber es hat eine Langzeitwirkung die die totale geistige, körperliche und psychische Abschlaffung bedeutet. So erlebe ich das seit unzähligen Monaten.
    […]
    Ich habe, bis auf Einkaufen, während der Zeit meiner Krankschreibung, und das waren Wochen (!), 99% meiner Zeit alleine in meiner Wohnung verbracht. Und davor war auch noch Corona. Das Bier kettet mich in diese Situation.

    ziemlich deutlich.

    Vor diesem Hintergrund ist meine Frage an dich, ob du Alkohol etwas „Schönes“ abgewinnen kannst, zu verstehen.

    Ich denke, ein entscheidender Punkt ist, ob du dich dafür bedauerst, nicht mehr Alkohol trinken zu dürfen, oder ob du dich von etwas, das du als Negativ kennengelernt hast und worunter du ernsthaft leidest, befreien willst.

    Deshalb kann es für dich entscheidend sein, wenn du der Stimme, die von Selbstgeißelung spricht, entgegenzuhalten, wovon du dich da gerade befreist und was du gewinnst. Dein Belohnungszentrum/ Suchtgedächtnis wird dir immer mal wieder dazwischengrätschen, das liegt in der Natur der Sucht. Für diese Fälle brauchst du einen Notfallplan:
    Umgang mit Suchtdruck
    Notfallkoffer


    Passender Sinnspruch dazu:

    Wie beim Reiten: Nicht auf das Hindernis, sondern darüber schauen.

    Hugo von Hofmannsthal (1874 - 1929)


    Ansonsten kann ich dir nur empfehlen, dich hier durch die diversen Informationen und Threads zu lesen. Du wirst eine wahre Fülle an hilfreichen Informationen vorfinden.

    Beste Grüße
    AmSee

    Du kannst nicht zurückgehen und den Anfang ändern,
    aber du kannst jetzt neu anfangen und das Ende ändern.

  • Hallo habssatt,
    ich hoffe für dich, dass es derzeit bei dir „läuft“.

    Ich hab mich nun mal kurz ein bisschen mit deinem AD beschäftigt.
    Wenn du dich inzwischen schon mal näher mit der Neurobiologie und -chemie beschäftigt hast, ist dir vielleicht schon der ungünstige Zusammenhang zu deinem Alkoholkonsum aufgefallen.

    Dein Alkoholmissbrauch dürfte dafür gesorgt haben, dass dein Körper zur Zeit noch weniger Dopamin selbst produziert, gleichzeitig sind im Gehirn sehr viel mehr Dopamin-Rezeptoren gebildet worden und die vorhandenen Rezeptoren reagieren weniger sensibel.

    Im Grunde hast du mit deinem Alkoholkonsum gegen das, wobei dir das Medikament eigentlich helfen soll, gearbeitet.


    In der ersten Zeit ohne Alkohol dürftest du deshalb Symptome eines Dopaminmangels zu spüren bekommen. Das kann sich ziemlich unangenehm auswirken/ anfühlen und natürlich auch Angst machen.
    Die Symptome, die du letztens geschildert hast, gehören dazu.

    Die gute Nachricht ist: Das geht vorüber, wenn du‘s durchziehst!

    Beste Grüße
    AmSee

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    aber du kannst jetzt neu anfangen und das Ende ändern.

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