Hallo Pfefferoni,
herzlich Willkommen hier im Forum.
Ich bin Anfang 50, Alkoholiker und trinke jetzt schon länger keinen Alkohol mehr. Davor trank ich weit über 10 Jahre abhängig, die meiste Zeit davon heimlich. Ich hatte Familie (Frau und Kinder) und funktionierte bis zu meinem Ausstieg. Am Ende dann aber nur noch gerade so, wobei meine Beziehung und mein Sozialleben bereits Jahre vorher in Trümmern lag.
Es ist mir nicht möglich, Dir hier jetzt Deine Frage zu beantworten. Also Deine Frage danach, ob diese Beziehung zukunftsfähig ist. Am Ende kannst nur Du allein entscheiden, ob Du an dieser Beziehung festhalten willst, sie vielleicht sogar vertiefen möchtest oder ob Du Dich abgrenzt oder trennst.
Ich möchte Dir deshalb einfach nur ein paar Gedanken von mir da lassen, vielleicht helfen sie Dir dabei die Dinge für Dich besser oder klarer einschätzen zu können. Und ich möchte betonen, dass es nur Gedanken sind, also keine Ratschläge oder sonstige Aufforderungen an Dich irgendwas zu tun. Das steht mir nämlich gar nicht zu.
Erst mal möchte ich auf diese Forumulierung von Dir eingehen:
Er ist nicht körperlich abhängig, aber ich glaube, dass er psychisch abhängig ist.
Ich nehme oft wahr, dass viele Menschen denken, erst wenn jemand körperlich abhängig ist, dann ist er "richtig" süchtig. Sprich, erst wenn jemand zu zittern anfängt (oder sonstige bekannte Symptome aufweist) wenn er keinen Alkohol mehr zur Verfügung hat, dann ist er süchtig.
Das ist aber komplett falsch. I. d. R. tritt die psychische Abhängigkeit lange vor der körperlichen ein. Diese Tatsache führte z.B. bei mir auch dazu, dass ich mir immer wieder selbst etwas vorlog. Denn natürlich wusste ich irgendwann, dass 3 oder 4 Bier (alternativ ein paar Jahre später dann 8 - 10 Bier) viel zu viel sind und ich da ein Problem habe. Da ich es aber viele Jahre geschafft habe, immer wieder mal Trinkpausen (anfangs durchaus auch mehrere Wochen lang) einzulegen, ohne dass ich körperlich irgendwelche Symptome gespürt hätte, dachte ich mir "dann kann es ja nicht so schlimm sein".
Und genau das ist fatal. Und genau so funktioniert die Sucht und die Sucht ist im Grunde nichts anderes als eine psychische Erkrankung. Die psychische Abhängigkeit ist also die EIGENTLICHE. Und wenn jemand aussteigt, dann entgiftet er erst mal. D. h. , er beseitigt die körperliche Abhängigkeit (wenn er eine hatte). Und das ist i. d. R. nach etwa einer Woche erledigt (+ - ein paar Tage). D. h. also, nach einer Woche ist man dann körperlich nicht mehr abhängig.
Aaaaaaber, dann geht es ja erst richtig los. Dann beginnt ja erst die eigentliche Aufarbeitung bzw. Therapie. Dann geht es ja darum nicht mehr rückfällig zu werden, was aber ja leider nur ein relativ kleiner Anteil über einen längeren Zeitraum oder dauerhaft schafft. Die meisten schaffen den Ausstieg aus der Sucht nicht, probieren es entweder erst gar nicht oder werden innerhalb der ersten 2 Jahre rückfällig und fallen zurück in die Sucht.
Und das tun diese Menschen nicht, weil sie körperlich abhängig waren sondern weil ihre Psyche (sprich die Sucht) sie dazu "zwingt". Es ist wirklich eine verdammt mächtige Krankheit und wer einmal eine Sucht entwickelt hat, den begeleitet sie sein ganzes Leben lang.
Ich hatte zum Ende hin pro Tag 8 Bier (an guten Tagen), 10 Bier (war so der Schnitt) und Plus x (12 Bier oder auch einfach mal noch ne Flasche Wein obendrauf). Wie gesagt ich trank diese Mengen über einen Zeitraum von etwa 2 Jahren, meine letzten beiden Jahre, täglich. Mal bisl weniger, mal bisl mehr. Trinkpausen waren mir da schon lange nicht mehr möglich.
Als ich dann aufhörte, von heute auf morgen, hatte ich körperlich fast keine Symptome. Ich habe die ersten Nächte ab und an mal etwas geschwitzt und ich hatte Probleme mit dem Einschlafen. Auch natürlich weil sich mein Gedankenkarussell drehte. Sonst hatte ich nichts. Damit will ich Dir nur zeigen, wie spät bei manchen Menschen die körperliche Abhängigkeit einsetzen kann.
Meistens trinkt er Bier selten Hochprozentiges
Das ist auch so eine Sache. "Er trinkt ja nur Bier".... wie oft habe ich das schon gehört oder gelesen. Als ob man erst Alkoholiker ist, wenn man zu harten Sachen greift. Das ist natürlich totaler Quatsch. Wenn Du die von mir oben beschriebenen Mengen her nimmst und in Schnaps "umrechnest" kommst Du auch locker auf eine Flasche und darüber hinaus. Es ist also völlig egal, welche Art von Alkohol man trinkt. Oft ist es so, dass Alkoholiker irgendwann mal "umsteigen", weil man dann einfach für die gleiche Wirkung nicht mehr so viel Flüssigkeit in sich reinschütten muss und weil die Be- und Entsorgungslogistik einfacher ist. Es ist leichter (besonders wenn man viel heimlich trinkt) eine Flasche Schnaps zu entsorgen als 8 Flaschen Bier.
es verschafft ihm Freude und Entspannung, auch regt es seinen Appetit an, das sind seine Hauptgründe.
Ok, also Ihr habt dann sicher schon intensiv darüber gesprochen. Denn er hat Dir ja offenbar seine "Gründe" genannt. Die Frage ist hier einfach nur, weshalb er ohne Alkohol keine Freude hat, weshalb er ohne Alkohol nicht entspannen kann und warum er ohne Alkohol keinen Appetit hat. Ich meine, beim allergrösten Teil der Menschheit braucht es keinen Alkohol um das alles "zu haben". Er braucht es und er will es. Damit macht er sich und sein Wohlbefinden von diesem Stoff abhängig....... Beurteile selbst was das bedeutet.
Auch hatte er früher jeden Tag gekifft, was er größtenteils eingestellt hat.
Was bedeutet "größtenteils"? Egal was es bedeutet, es zeigt dass ein Suchtpotenzial in ihm steckt.
Er ist nie aggressiv und hat keinen Kontrollverlust.
Ich war auch nicht aggressiv. Nie. Und ich hatte bis zum Schluss keinen Kontrollverlust. Es gab so gut wie keinen Tag, wo ich aufgrund meines Trinkens am nächsten Tag ausgefallen wäre. Es gab keinen Tag, wo ich aufgrund meines Trinkverhaltens besoffen und ausgeknockt in der Ecke gelegen wäre. Ich hatte "es" und mich immer im Griff. Nur die Menge wurde halt über die Jahre immer mehr und ich begann halt irgendwann dann schon morgens mit dem Trinken. Aber ich bin jeden Abend immer noch selbst ins Bett und am nächsten Morgen aufgestanden und in die Arbeit gegangen. Kein Kontrollverlust. Das hat meiner Frau und meinen Kindern am Ende dann aber auch nichts geholfen.... Im Gegenteil, meine Frau hat mir, nachdem ich ausgestiegen bin, mal gesagt: Ich wünschte Du hättest mich geschlagen, dann hätte ich wenigstens gewusst was ich tun muss.
Eine Aussage, über die Du gerne mal nachdenken darfst, wenn Du das möchtest.
Er ist ansonsten ein wunderbarer Mensch und ich habe starke Gefühle für ihn zumal wir auch gut zusammenpassen, da wir viele Gemeinsamkeiten haben.
Das glaube ich Dir sehr gerne. Denn warum soll ein Alkoholiker kein toller Mensch sein können? Alkoholiker sind auch Menschen mit einem bestimmten Charakter, mit bestimmten Eigenschaften und mit all ihren Gefühlen. Du wirst nicht umsonst mit ihm zusammen sein, da bin ich mir sicher.
Ich muss oder will aber auch ein "leider" oder "aber" hinzufügen. Wieder nur aus meiner eigenen Erfahrung heraus. Denn je länger eine Sucht andauert und je tiefer man in sie hinein rutscht, desto stärker nimmt sie von einem Besitzt und desto mehr verändert sie einen auch. Ich habe das an mir selbst erfahren. In bestimmten "Phasen" kommen bestimmte Charaktereigenschaften besonders hervor, so war das bei mir. Mit dem entsprechenden Pegel war ich superromatisch, philosophisch oder auch super selbstbewusst. Nur mal so als einfaches Beispiel. Alles Dinge, die ich sicher schon in mir hatte, die jedoch durch den Alkohol sozusagen "gepuscht" wurden. Nur, dabei blieb es dann auf die Länge gesehen leider nicht. Denn der Alkohol veränderte auf Dauer meinen Charakter, meine Wahrnehmung, mein ganzes Wesen. Am Ende blitzte der eigentliche Charakter von mir nur noch sehr selten auf und war ersetzt durch einen neuen. Einen suchtgesteuerten. Und da hatte ich irgendwann eine ganz andere Wahrnehmung, ich lebte sozusagen in einer Parallelwelt und dachte aber, dass diese die echte wäre. Das versetzte mich auch in die Lage ein ganz hervorragender Lügner zu sein, ein so guter Lügner, dass ich oft (und das stimmt wirklich) meine eigenen Lügen geglaubt habe und sie nicht mehr von der Wahrheit unterscheiden konnte. Das hat alles die Sucht aus mir gemacht, weil ich sie lange genug habe gewähren lassen.
Mein Hauptproblem ist das meine letzte Beziehung aufgrund von Alkohol zugrunde gegangen ist. Das hat sicherlich auch eine Narbe hinterlassen. Dadurch macht mich sein Trinkverhalten traurig.
Hast Du mal darüber nachgedacht, weshalb Du von der einen suchtbelasteten Beziehung in die nächste gewechselt hast? War es "Zufall"? Oder könnte da mehr dahinter stecken? Hast Du Dich schon mal mit Co-Abhängigkeit beschäftigt? Wenn nein und Du interesse hast darüber etwas zu erfahren, dann google einfach mal danach. Ich möchte betonen, dass ich Dir damit nichts "unterstellen" will, das sind hier nur Gedanken die ich dazu habe. Ich weiß viel zu wenig von Dir um Dir hier irgendwas anzudichten. Aber vielleicht ist es wichtig für Dich, Dich damit zu beschäftigen.
Ich erwarte ja nicht komplette Abstinenz, aber wirklich wenig Alkohol ist das nicht.
Naja, ich nehme an, Du erwartest einfach einen "ganz normalen" Umgang mit Alkohol. Also so ganz langweilig normal halt. Ab und an mal was trinken, bei irgendwelchen Anlässen kanns auch mal mehr sein aber eben nicht regelmäßig und vor allem nicht regelmäßig zu viel.
Nun, dazu will ich sagen, dass ein moderates oder "normales" Trinken für einen Alkoholiker schlicht nicht (mehr) möglich ist. Er MUSS trinken und zwar die Mengen, die er braucht und die seinem aktuellen "Suchtniveau" gerade entsprechen. Und er wird 1000 Gründe dafür finden das zu rechtfertigen. Und nochmal 1000 warum er das nicht ändern möchte.
Das waren meine Gedanken.
Vielleicht kannst Du da was für Dich mitnehmen. Mit meiner heutigen Erfahrung will ich einfach noch sagen, dass jeder Mensch für sein Leben selbst verantwortlich ist. Dein Freund für seines und wenn er trinken möchte, dann kann er das tun. Und wenn er aufhören möchte, dann liegt das ebenfalls komplett in seiner Hand. Und Du bist für Deines verantwortlich. Und auch nur für Deines und nicht für das Deines Freundes. Du allein entscheidest über Dein Leben. Welche Entscheidung die für Dich richtige ist, kann ich Dir nicht sagen.
Alles alles Gute für Dich und wenn Du noch Fragen haben solltest, einfach fragen.
LG
gerchla