Hallo Sunny,
herzlich Willkommen hier im Forum.
Ich stelle mich mal kurz vor: Ich bin Anfang 50, Alkoholiker und trinke jetzt schon lange keinen Alkohol mehr. Davor trank ich über 10 Jahre abhängig, die meiste Zeit davon heimlich. Ich hatte Familie (2 Kinder) und funktionierte bis zum Schluss.
Ich habe mir jetzt wirklich lange überlegt, ob ich Dir überhaupt schreiben soll. Ich habe mir überlegt, ob ein 50-jähriger eine 25-jährige mit seinen Erfahrungen und seinen "Lebensweisheiten" überhaupt erreichen kann. Ob Dir das, was ich Dir schreiben möchte, überhaupt etwas helfen kann oder ob das alles nicht viel zu altklug herüber kommt.
Ich habe dann unterschiedliche Gedanken gewälzt, u. a. dachte ich daran, dass mein Sohn genauso alt ist wie Du und dass ich mit ihm ja auch "ganz normal" rede und diskutiere (Du merkst also, nicht nur Du hast Dir Gedanken über Dein Alter gemacht sondern auch ich mir über meines

).
Und deshalb habe ich mich entschieden, Dir jetzt einfach mal meine Gedanken schreiben. Vielleicht kannst Du da etwas für Dich mitnehmen.
Erst mal möchte ich Dir sagen, dass ich es sehr gut finde, dass Du Dir diese Gedanken über Deinen Alkoholkonsum machst. Was Du von Dir beschreibst deutet auf jeden Fall auf ein großes Problem hin. Es scheint, als ob Du über den "Status" des Alkoholmissbrauchs bereits hinaus bist und schon in der Sucht hängst.
Und wenn Du mal auf Deine bisherigen Erfahrungen mit dem Zeug zurück blickst, wie Du z. B. auch bereits die Menge gesteigert hast, dann kannst Du Dir in etwa vorstellen, wie die Geschichte weiter gehen wird, wenn Du aus dieser Spirale nicht austeigen kannst. Ich kenne niemanden, wo es mit der Zeit besser wurde. Bei dieser Sucht ist es oft so, dass "man" sie relativ lange relativ gut "aushalten" bzw. sich schönreden kann. Ich will damit sagen, dass die allermeisten Alkoholiker zu den funktionierenden Alkoholikern gehören. Das sind jene, denen man das erst mal gar nicht ansieht.
Bei dem Begriff Alkoholiker hat man ja oft sofort den Penner auf der Parkbank mit der Pulle in der Hand im Kopf. Aber das stimmt eben so nicht. Die meisten haben von außen betrachtet "ein ganz normales" Leben. Ich schreibe Dir das so ausführlich, weil Du davon geschrieben hast, dass Du in der Arbeit nicht trinkst und dort erfolgreich Deine Frau stehst. Das habe ich auch getan, das habe ich auch noch mit täglich 10 Bier getan. Das habe ich auch noch getan, als ich bereits morgens auf dem Weg in die Arbeit mit dem Trinken begonnen habe. Ich habe bis zum Schluss funktioniert.
Was aber absolut nichts damit zu hat, dass es mir damit auch gut gegangen wäre. Denn das genau Gegenteil war der Fall. Die Sucht hatte mich derart im Griff, dass es mir zunehmend schwerer fiel, all das andere zu bewältigen. Als erstes gingen sozusagen meine sozialen Kontakte den Bach runter, weil ich die Zeit zum Trinken brauchte. Parallel dazu wurde meine Ehe immer kaputter, auch wenn meine Frau nicht wusste warum das so war. Der Job war sozusagen das, was am längsten relativ problemlos funktionierte. Auch wenn ich dann in den letzten Jahren meiner Sucht auch während der Arbeit (bzw. schon vor der Arbeit) trank. Aber ich hatte einen derart guten Stellenwert und mein Aufgabengebiet auch (routinemäßig) gut im Griff, dass ich hier meine Scheinwelt aufrecht erhalten konnte. Jedoch wäre auch dieses Kartenhaus bald zusammen gefallen, hätte ich den Absprung nicht geschafft.
Du siehst vielleicht, je früher Du von dem Zeug weg kommst, desto länger hast Du etwas von Deinem Leben. Also vom eigentlichen Leben, nicht von dem durch Alkohol manipulierten und somit gar nicht wirklich vorhandenen. Auch wenn das anfangs ganz nett sein kann, seine Welt ab und zu mal zu manipulieren, so kehrt es sich doch in dem Moment ins Gegenteil, wenn man süchtig ist. Und plötzlich trinken muss, auch wenn man eigentlich nicht mehr möchte. Und an diesem Punkt bist Du wohl angekommen.
Aus meiner Sicht geht es nun erst mal darum nicht mehr zu trinken. Aber wie Du ja vielleicht bereits bei oder nach Deiner zweimonatigen Pause festgestellt hast, reicht da alleine bei weitem nicht aus um dauerhaft von dem Zeug weg zu kommen. Meine längstge Trinkpause betrug überigens fast ein Jahr, da war ich Anfang 30 und bereits süchtig. Wenn auch auf einem, für meine späteren Verhältnisse, niedrigem Niveau. Aber das ist egal, süchtig ist süchtig. Ein lächerliches Biermischgetränk, EIN EINZIGES, brachte mich nach fast einem Jahr ohne Alkohol wieder zurück in die Spur. So schnell hab ich gar nicht schauen können.
Was also ganz wichtig ist, neben dem erst mal nichts mehr trinken, ist ein Plan für Dich und letztlich dann für Dein Leben. Es fällt mir nicht einfach, so ein Zeugs einem so jungen Menschen wie Dir zu schreiben. Denn das kommt sicher sehr spießig rüber. Schließlich willst Du sicher noch was erleben, willst Spaß haben, auch mal mit Freunden um die Häuser ziehen, etc. Ich wollte das jedenfalls in diesem Alter.
Ich möchte Dir sagen, dass Du das trotzdem kannst. Wenn ich heute zurück denke, dann hatte ich in meinem Freundes- und Bekanntenkreis gar nicht so wenige Menschen die nichts tranken und trotzdem mit uns unterwegs waren, und natürlich auch trotzdem gut drauf waren. Das war auch nie ein Problem, erst später, als ich da langsam rein gerutscht bin, habe ich mich lieber mit Leuten umgeben, die auch was tranken. Weil ich da dann weniger auffiel. Wobei diese Phase bei mir nur kurz war, ich glitt relativ schnell in die heimliche Trinkerei ab.
Was ich sagen möchte: Versuch Dir darüber klar zu werden, warum Du den Alkohol missbraucht hast. Was er Dir gegeben hat, warum Du ihn eingesetzt hast. Versuche dabei mehr zu ergründen als nur "oberflächliche" Gründe, versuche tiefer zu schauen, ob da irgendwas ist, was grundsätzlich angegangen werden sollte, was verändert werden sollte. Sowas ist nicht ganz einfach und hier ist es nicht das Schlechteste, wenn Du Dir dazu Hilfe von außen holst.
Wenn Du es schaffst mit Dir und Deinem Leben zufrieden zu sein, wenn Du vor allem mit Dir selbst komplett im Reinen bist, dann verliert der Alkohol seine Bedeutung. Denn eingesetzt hast Du ihn, weil Du etwas verändern wolltest. Was auch immer das letztlich war. Wenn Du aber zufrieden bist, wenn Du klar bist, wenn Du weißt wer Du bist und wer Du sein möchtest und das entweder bereits erreicht hast oder Dich auf den Weg dorthin auf gemacht hast und diesen Prozess bewusst lebst, dann gibt es keinen Grund mehr das Zeug zu konsumieren.
Du wirst, wenn Du Dich länger mit dem Thema Alkoholsucht beschäftigst, sicher immer wieder auf den Begriff der zufriedenen Abstinenz stossen. Was bedeutet, dass man damit zufrieden ist, keinen Alkohol zu trinken und ihn nicht vermisst. Hat man das erreicht, ist man sozusagen maximal vor Rückfällen geschützt. Wie das funktioniert muss jeder selbst heraus finden und es gibt wie überall sicher unterschiedliche Wege. Meine Sichtweise habe ich Dir weiter oben versucht darzulegen.
Vielleicht noch ein Gedanke: Für mich ist mein Leben ohne Alkohol auch soetwas wie eine Lebenseinstellung. Ich lebe bewusst und ich lebe bewusst ohne Alkohol. Und wenn mir heute jemand sagen würde, es gibt ne Pille, die mein Suchtgedächtnis löschen könnte und ich könnte dann wieder ganz normal Alkoholkonsumieren, wie jeder andere Mensch ohne Suchtproblematik auch, dann hätte das für mich keine Bedeutung. Ich sage das jetzt wirklich ganz selbstbewusst weil ich es genau so empfinde. Ich möchte gar keinen Alkohol mehr trinken, selbst dann nicht, wenn ich es tatsächlich gefahrlos wieder könnte. Denn mein Leben ist so wie es ist genau richtig. Ich vermisse nichts, schon gar nicht die Wirkung des Alkohols.
Diese Lebenseinstellung ist vielleicht auch ein wenig vergleichbar mit z. B. einem Vegetarier. Der isst kein Fleisch und vermisst idealerweise auch nichts. Er /oder sie, lebt aus Überzeugung so, weil er/sie das möchte. So sehe ich das heute in Bezug auf Alkohol bei mir auch. Es war aber ein langer Prozess, bei dem ich mich sehr viel mit mir und meinem Leben, meinen Zielen, etc. auseinander gesetzt habe. Das hat mir sehr geholfen heraus zu finden, worauf es (für mich) eigentlich ankommt im Leben.
So, jetzt wurde es doch wieder sehr pathetisch und ich habe keine Ahnung ob Du damit überhaupt irgendwas anfangen kannst.
Mach Dir einen Plan, hol Dir alle Hilfe die Du bekommen kannst und schaue, dass Du unbedingt von dem Zeug weg kommst. Dauerhaft. Ansonsten verschenkst Du Dein Leben.
Alles Gute für Dich und einen guten Austausch hier im Forum wünsche ich Dir.
LG
gerchla