Hallo Miho,
herzlich Willkommen hier im Forum.
Ich stelle mich mal kurz vor: ich bin Anfang 50, Alkoholiker und trinke jetzt schon lange keinen Alkohol mehr. Davor trank ich über 10 Jahre abhängig, die meiste Zeit davon heimlich. Ich hatte Familie (2 Kinder) und funktionierte bis zum Schluss.
Ich habe mir bei Deiner Geschichte, oder ich sage mal besser, bei Deiner Frage an uns, spontan gedacht, warum das für Dich jetzt noch so wichtig ist.
Du stellst ja nun sozusagen die Frage, ob das was Du damals getan hast, also das Vortäuschen einer Suizidabsicht, moralisch gerechtfertigt war/ist. Ich schreibe das nur nochmal so, weil ich sicher sein möchte, dass ich das auch richtig verstanden habe. Darum geht es Dir doch, oder?
Ich finde es sehr spannend, dass Du Dir diese Frage stellst und dass Du sie offenbar an dem einen Tag für Dich selbst so, und am anderen Tag wieder anders bewertest. Warum tust Du das? Was bringt es Dir, wenn ich Dir schreibe: Alles gut, absolut gerechtfertigt, Deine Vorgehensweise. Oder wenn ich Dir genau das Gegenteil schreibe? Ich würde es unheimlich spannend finden zu wissen, warum Dir die Meinung der Forumsteilnehmer hier so wichtig ist.
So, jetzt aber zu meiner Meinung, was ja das Eigentliche ist, was Dich hier interessiert.
Ich kann da nur auf meine eigenen Erfahrungen zurück greifen. Und da muss ich (leider) sagen, dass ich als trinkender Alkoholiker der größte Lügner und Betrüger war, der mir jemals untergekommen ist. Es gehörte zu meinen typischen Eigenschaften immer dann zu lügen, wenn ich glaubte damit das erreichen zu können, was ich wollte.
Da ich nun auch schon ein paar Jahre mit anderen ehemaligen Alkoholikern kommuniziere durfte ich feststellen, dass ich zwar jemand war, der es in der Liga der Lügner zur Meisterschaft hätte bringen können, es sich bei mir jedoch keinesfalls um eine Ausnahme handelte. Die meisten Betroffenen berichteten mir, dass sie natürlich ständig logen und ständig versuchten zu manipulieren, um eben die jeweiligen Ziele zu erreichen.
Und wenn Du jetzt mal (gnädig) auf Dich selbst zurück blickst, dann warst Du in Deiner aktiven Trinkerzeit sicher auch einer von denen gewesen sein, die eben (suchtbedingt) gelogen und manipuliert haben. Einiges davon lässt sich ja auch aus Deinem Post heraus lesen und es ist auch alles recht "typisch" für diese Krankheit. Nichts anderes hast Du also in dieser Situation damals auch getan. Du wolltest unbedingt in diese Klinik und deshalb hast Du diese Geschichte erzählt. Die Verhaltensweise eines aktiv trinkenden Alkoholikers.
Aber vielleicht hilft es Dir ja auch, wenn Du mal anders auf die ganze Sache blickst. Ich meine, Du lebst jetzt zwei Jahre ohne Alkohol. Was ich übrigens als ganz toll empfinde und wo ich Dir hier auch mal meinen Glückwunssch aussprechen möchte. Man kann also sagen, Du hast die "kritischen" ersten beiden Jahre hinter Dir und lebst dauerhaft ohne Alkohol.
Möglicherweise hat genau diese Erfahrung, also das Einfahren in die Geschlossene, einen entscheidenden Anteil daran, dass es so ist. Vielleicht wärst Du heute nicht da wo Du bist, wenn Du damals in dieser Klinik aufgenommen worden wärst oder gar warten hättest müssen. Ich weiß, das ist alles Spekulation. Aber am Ende zählt doch einfach nur, dass Du es geschafft hast dauerhaft vom Alkohol weg zu kommen. Das ist entscheidend, sonst erst mal nichts.
Ich will das nicht bagatellisieren, weil ich vermute, dass da bei Dir einiges dahinter steckt. Nicht umsonst wirst Du diese Frage hier stellen und erhoffst Dir vielleicht auch Antworten in eine bestimmte Richtung gehen.Es wird einen Grund geben, weshalb Du Dir die Mühe machst Dich hier anzumelden um Antwort auf diese Frage zu erhalten. Diesbezüglich habe ich Dir ja weiter oben in meinem Post schon ein paar Fragen gestellt. Aber ich möchte Dir auch sagen, dass es auch bei mir so war, dass ich mir, nachdem ich aufgehört hatte mit dem Trinken, viele Fragen gestellt habe. Und dass bei mir (ich trennte mich nach meinen Ausstieg von meiner Frau und somit quasi auch von meinen Kindern) ganz viele Schuldfragen aufploppten.
Ich merkte natürlich erst im längeren nüchternen Zustand, was ich da eigentlich angerichtet hatte. Ich merkte mit Fortschreiten meiner Abstinenz erst mal so richtig, was ich meinen Kindern und meiner Frau eigentlich angetan hatte. Und bekam diese Schuld bei jedem Treffen mit meinen Kindern oder auch meiner Frau wieder vor Augen geführt. Es war zentral wichtig für mich und für ein Gelingen meines weiteren Lebens, dass ich diese Schuldbelastung für mich löste. Dazu brauchte ich Hilfe von außen.
Mit dieser Hilfe schaffte ich es, meine Schuld, meine schuldbehaftete (und lügenverseuchte) Trinkervergangenheit als Teil meines Lebens zu akzeptieren. Als wichtigen Teil meines Lebens. Als einen Teil, der es mir heute ermöglich von diesen negativen Erfahrungen zu profitieren, es heute besser zu machen, es anders zu machen um heute der Mensch sein oder werden zu können, der ich gerne sein möchte. Und so verurteile ich mich heute nicht mehr für das was ich getan habe, ohne es jedoch dadurch verharmlosen oder gar leugnen zu wollen. Ich sagen auch nicht: das war nicht ich, da war der Alkohol dran schuld. Nein, ich war es und ich war/bin verantwortlich. Aber ich bin heute nicht mehr der Mensch von damals und ich setze heute alles daran derjenige zu sein, der ich gerne sein möchte. Meine Vergangenheit hilft mir dabei.
Nun, vielleicht habe ich aus einer Mücke einen Elefanten gemacht. Und Du hast hier einfach nur mal so eine Frage ins Forum geworfen und das alles hat gar nicht die Dimensionen, die ich da jetzt hinein interpretiert habe. Vielleicht kannst Du ja aber in diesem Fall trotzdem was für Dich mitnehmen.
Alles Gute für Dich und einen guten Austausch hier im Forum wünsche ich Dir.
LG
gerchla