Die Alkoholkrankheit meines Vaters war gewiss abschreckend für mich, als ich aber nach seinem Tod im Alter von 15 unsere Familie verließ, um nicht selbst zugrunde zu gehen, lernte ich einen anderen Umgang mit Alkohol kennen. Bei diesen Menschen war Alkohol trinken harmlos, da eskalierte nix, die tranken mal und auch nicht heimlich und nix weiter. Und so trank ich mein erstes Bier und nix Schlimmes passierte, es war sogar ganz nett. Später war ich mit anderen meines Alters zusammen und es gehörte dazu, dass wir tranken, wenn wir ausgingen. Da war‘s lustig, einen Rausch zu bekommen, alle probierten ihre Grenzen mal aus. Das war irgendwie ganz normal.
So lernte ich den Alkohol und den Rauschzustand am eigenen Leib als etwas Harmloses kennen.
Und schau dich mal um: Überall wird getrunken. Mir fällt das jetzt erst so richtig auf. In Film- und Fernsehen schenken die sich ständig ein Glas ein, in Romanen und natürlich überall in unserer Umgebung (Familie, Freunde, Nachbarn, Feste, Restaurants, Biergärten usw.). Wer trinkt, gehört dazu. Trinken ist total normal. - So lebt es uns unsere Gesellschaft jedenfalls vor.
Nach allem, was ich zu diesem Thema in Erfahrung gebracht habe, stellt sich mir das so dar: Kinder aus dysfunktionalen Familien tragen tiefe seelische Verletzungen davon. Weil ihnen etwas Wesentliches in ihrer Entwicklung versagt geblieben ist, neigen sie mehr als andere dazu, irgendeine Sucht zu entwickeln. - Möglicherweise spielt dabei auch noch genetische Vererbung eine Rolle. - Sie stillen eine tief vorhandene Sehnsucht, stopfen ein tiefes emotionales Loch etc.
Alkohol gehört ja zu den Drogen, die binnen Sekunden zur Ausschüttung von Glückshormonen führen, das Belohnungszentrum wird stimuliert.
Wie tückisch Alkoholkonsum in meinem Fall war, habe ich jedenfalls nicht kommen sehen und wegen der angenehmen Seiten des Alkoholkonsums irgendwie auch verdrängt. Ich war (und bin) doch so ganz anders als mein Vater..... Alkohol half mir ja über lange Zeit, mich besser zu fühlen, besser zu entspannen, länger arbeiten zu können, nahm mir Ängste, zeichnete alles weich etc. Ich habe aufgrund meiner Familienvergangenheit Persönlichkeitsmerkmale, die mich u.a. sehr anfällig für Überforderung machen. Alkohol half mir, länger zu funktionieren.