Hallo Tinka,
jetzt will ich noch ein bisl was zu Deinen Zeilen schreiben.
Ich möchte auch, dass er diese Dinge verarbeitet und selbständiger wird, ich möchte dieses Hilflose nicht mehr. Die Mischung Hilflos und Gleichgültig hat mich fertig gemacht.
Ich weiß nicht ob Du meine Geschichte kennst. Ich trank ja quasi komplett heimlich und meine Frau musste zwar die Folgen meiner Sucht ertragen, konnte aber nicht einordnen was genau los war.
Und ich erinnere mich noch gut an einen Satz, den sie mir mal sagte. Und zwar sagte sie: "Ich brauche einen Mann an meiner Seite auf den ich mich verlassen kann und der Verantwortung übernimmt und kein drittes Kind (wir hatten damals 2 Kinder)".
Ich glaube das trifft es ganz gut. Sie sah mich quasi als Kind, musste alles selbst entscheiden, musste vieles selbst erledigen und hatte sozusagen keinen Partner auf Augenhöhe. Da sie nicht wusste das ich trank, hat sie es so formuliert wie sie aus ihrer Sicht gesehen hat und wollte einfach, dass ich meiner Rolle gerecht werde. Aber das konnte ich eben nicht. Du hast den Vorteil, dass Du weißt was los ist. Und noch besser: Dein Mann hat es auch kapiert.
Sehr wohl hat aber die Ansage "ich such mir ne Wohnung" Sinn gemacht, weil er gemerkt hat, ich mach es wirklich. So hätte ich nicht weitergemacht.
Danke für diese Rückmeldung! Ich finde diesen Satz von Dir hochwertvoll. Und zwar für alle anderen, die in ähnlicher Situation stecken wie Du zu diesem Zeitpunkt. Weißt Du, wir schreiben das hier sehr oft. Wir schreiben sehr oft, dass man als Angehöriger sehr klar seine Wünsche äußern sollte, sehr klare Grenzen ziehen sollte und auch die Konsequenzen ankündigen sollte, die man zieht wenn die Grenzen überschritten werden. Unter der Voraussetzung, dass man die angekündigten Konsequenzen dann auch durchzieht, wenn es denn sein muss.
Wir schreiben hier oft, dass die Androhung einer Trennung (sofern man dann auch notfalls wirklich diesen Schritt bereit ist zu gehen) den Betroffenen zum Umdenken bewegen kann. Bei Dir war das ganz offensichtlich der Fall und ich gehe mal davon aus, dass Du Deine Worte mit Bedacht aber auch mit Nachdruck vorgebracht hast. Und genau das ist enorm wichtig aus meiner Sicht. Trotzdem weiß man natürlich nicht, wie das ganze dann ausgeht. Viele, sehr viele, entscheiden sich trotz Drohung für den Alkohol. Aber dann bleibt den Angehörigen als letzter Schritt eben nur noch das Angekündigte wirklich umzusetzen. Tuen sie es nicht, haben sie jede Glaubwürdigkeit gegenüber dem trinkenden Partner verspielt und bleiben schlimmstenfalls ewig in der Alkoholspirale des selbigen mit hängen.
Ich freue mich wirklich für Dich, dass Du das so durchgezogen hast und auch darüber, dass Du Deinem Mann damit den entsprechenden Wachrüttler verpassen konntest. Es deutet zumindest darauf hin, dass da bei ihm noch einiges an, ich nenne es jetzt mal Liebe auch wenn ich nicht weiß ob es das wirklich ist, für Dich da ist. Auf jeden Fall erst mal ein Grund um ihn auf diesem Weg zu begleiten.
Das klingt hart, aber ich habe in den 3 Wochen,als er weg war, gemerkt, dass ich sehr gut alleine klarkomme und das hat mein Selbstbewusstsein ein ganzes Stück aufgebaut.
Wenn Du das jemanden so sagst, der mit der ganzen Materie nichts am Hut hat bzw. keine Erfahrung damit hat, dann mag das durchaus sehr hart klingen. Für mich klingt es dagegen regelrecht wunderbar. Denn diese Einstellung empfinde ich als die genau Richtige! Es geht nicht darum, dass Du ihn jetzt mal spüren lässt, wer jetzt die Hosen an hat. Nein, es geht einfach darum, dass Du DEIN Leben leben wirst. Gerne mit ihm, notfalls aber durchaus auch ohne ihn.
Als ich meiner jetzigen Frau erzählte, dass ich Alkoholiker bin, hat sie mir sofort klar gemacht, dass sie sich sofort von mir trennen würde, wenn ich wieder trinken würde. Sie hat in ihrer Kindheit diesbezüglich selbst einiges erlebt und sie hat mir klipp und klar gesagt, dass sie das alles nicht noch einmal durchmachen wird. Jetzt verstehe mich bitte nicht falsch. Meine Frau ist nicht irgendwie eine ganz harte Egoistin oder so. Nein, sie ist eine wunderbare Frau und wir führen eine wunderbare Beziehung. Ich bin ein sehr glücklicher Mensch und das habe ich zu einem großen Teil auch einfach dieser Beziehung zu verdanken, an der ich (an der wir beide) täglich arbeiten.
Um es nochmal zu verdeutlichen: Nicht das ich in irgendeiner Form (zum Glück) gefährdet gewesen wäre wieder zur Flasche zu greifen. Nein gar nicht, es war alles safe und ich sehr gefestigt. Trotzdem fand ich diese klare Ansage von ihr sehr sehr gut. Denn wie Du merkst, ich habe sie im Kopf behalten und sie wird mir immer eine Mahnung sein. Auch wenn ich sehr hoffe, dass ich nie mehr auch nur in die Nähe des Wunsches Alkohol trinken zu wollen geraten werde.
Was ich eigentlich sagen möchte: Eine konsequente Haltung (nicht nur dem Alkohol gegenüber sondern generell) wird wichtig sein um Eure Beziehung wieder zu stabilisieren. Auch er wird z. B. lernen müssen, seine eigenen Bedürfnisse Dir gegenüber zu formulieren und durchzusetzen. Ich könnte mir vorstellen, dass das nicht gerade zu seinen Stärken zählte. Und so war es bei mir auch. So dass ich am Anfang meiner Zeit ohne Alkohol erst mal lernen musste, wirklich zu sagen was ich tatsächlich dachte und was ich wollte. Ich musste NEIN sagen lernen. Ich musste lernen, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen und dann so zu machen, wie ICH das für richtig hielt. Ich musste lernen all meine Lügen, die ich auch oft einsetzte um einfach nicht anzuecken, um niemanden ein unangenehmes Gefühl zu geben oder um einfach möglichst unauffällig Probleme zu umschiffen, sein zu lassen und statt dessen Dinge so anzusprechen, wie ich sie tatsächlich sah. Man spricht in diesem Zusammenhang auch oft von gesunden Egoismus. Den muss der Trinker lernen und Du musst lernen damit umzugehen. Im Gegenzug muss aber auch er lernen, mit Deinen klaren Ansagen zurecht zu kommen.
Du merkst, das wird eine spannende Zeit werden für Euch.
Und noch was zu Deiner Aussage, dass Du Dir das ganze jetzt erst mal anschaust und ggf. auch noch anderweitige Konsequenzen (sprich: Trennung) ziehst:
Ich finde auch es wäre Dein gutes Recht. Niemand kann von Dir verlangen, dass Du ihn da jetzt begleiten MUSST. Nur Du weißt, wie es mit den Gefühlen für ihn in Dir eigentlich genau aussieht. Sprich, nur Du kannst sagen, ob Du noch sowas wie Liebe für ihn empfindest und ob Du Dir weiteres Leben mit ihm überhaupt vorstellen kannst. Die Frage ist hier ja auch, ob Du es schaffen kannst, wieder Vertrauen zu ihm aufzubauen. Das ist ein gutes Stück Arbeit und ich denke, eine Beziehung ohne Vertrauen kann auf Dauer niemals gut funktionieren. Es wird also genau darauf ankommen. Und wenn Du das Gefühl hast, Du kannst ihm nicht mehr vertrauen, es ist bereits zu viel kaputt gegangen, dann fände ich es absolut verständlich wenn Du eine Trennung in Erwägung ziehen würdest. Auch wenn er jetzt trocken werden sollte. Denn, wie schon gesagt, er hat's ja an die Wand gefahren, nicht Du.
Zum Thema Vertrauen kann ich Dir noch sagen, dass ich einige Jahre gebraucht habe, bis mir meine erste Frau wieder vertrauen konnte. Dadurch, dass wir ja gemeinsame Kinder hatten und ich nach unserer Trennung regelmäßig meine Kinder sehen wollte, hatten wir hier natürlich quasi ständig Berührungspunkte. Meine Frau hat mich z. B. lange nicht mit unserer Tochter Auto fahren lassen. Da habe ich schon lange nicht mehr getrunken, hatte locker 20 Kg abgenommen und sah aus wie das blühende Leben. Sie hat trotzdem zu mir gesagt: Ich kann Dir nicht vertrauen, ich will nicht das Du mit ihr Auto fährst.
Naja, ich konnte sie sehr gut verstehen, denn ich hatte sie ja über 10 Jahre lang belogen und betrogen und fast die ganze Zeit über heimlich getrunken und mir dabei sogar ein richtiges Doppelleben aufgebaut. Klar, dass sie da nicht einfach sagen konnte: "Ah ja, Du siehst ja blendend aus und wirst es schon im Griff haben".
Heute habe ich eine sehr gute Beziehung zu ihr. Das hat aber seine Zeit gebraucht.
So, jetzt habe ich Dir recht viel geschrieben. Einfach meine Gedanken. Wenn Du Fragen hast, einfach raus damit. Und weiterhin einen guten Austausch hier im Forum.
LG
gerchla