Servus,
Mei, die nutzlosen Frührentner...der Nachbar hat einfach immer die schöneren Äpfel.
Als ich in meine erste Selbsthilfegruppe kam, hatte ich ein Gehalt von gut 10.000 Mark im Monat (war damals für meine Verhältnisse ziemlich viel), Euro kam da grade erst, und stand vor einem Karrieresprung, nach dem das Dreifache verdienen sollte. Nach meinem versemmelten Früherwachsensein hab ich noch ein ziemlich begehrtes Studium abgeschlossen, aber Leistungsdenken war trotzdem nicht meins. Nur wenn ich mich schon mal angestrengt habe, wollte ich wenigstens die Beste sein, damit ich mir das immerhin selbst überlegen konnte, was ich draus machen wollte. Aber wer A sagt, muss wohl auch da B sagen, wer nach Leistungsfähigkeit aussieht muss wohl dann auch. Ich hab das eigentlich gar nicht eingesehen, ich wäre lieber heim gegangen, sobald mir das Geld gereicht hätte, aber das haben die Arbeitgeber nicht akzeptiert. Da gabs leichter eine Gehaltserhöhung als die Möglichkeit, Überstunden abzufeiern, weswegen ich das auch nur ein paar Jahre mitgemacht habe.
Und dann der Gegensatz. In der Selbsthilfegruppe gab es Frührentner, die bekamen ihr Geld dafür, die Füsse auf dem Sofa hochzulegen.
Wenns gegangen wäre, hätte ich mit denen getauscht. Jedenfalls war ich auf die ziemlich neidisch. Ich hab den halben Tag bei der Arbeit sehnsüchtig nach draussen geguckt und wäre lieber im Garten in der Sonne gelegen. Nur für den Feierabend und das Wochenende gelebt. Stattdessen die IT-Infrastruktur von Kunden nachgebaut, bei denen die Systeme standen, technisch sicherlich anspruchsvoll, aber ansonsten hätte ich die auf den Mond schiessen können.
Das einzige, was ich hätte nicht haben wollen, waren die Gründe für die Frühverrentung, ich hätte natürlich das Beste aus beiden Welten haben wollen, Geld und Gesundheit, hähä. Aber moralisch hätte ich da nichts dabei gefunden. Ich hätte das Geld fürs Nichtstun mit Kusshand genommen, aber dafür war ich dann natürlich viel zu leicht vermittelbar.
Heute muss ich auf absehbare Zeit immer noch arbeiten, weil ich das über viele Jahre, so weit als möglich, vermieden habe und daher nur wenig Beitragszeiten für die Rentenkasse habe. Heute schreibe ich Computerprogramme, die das Geld für mich verdienen. Arbeiten tue ich immer noch nur soweit nötig. Und meine Programme werden möglicherweise noch laufen und mir ein Taschengeld einbringen, wenn ich schon 80 bin. Das Programmieren und Enrtwickeln macht mir immerhin Spaß, wenn ich das nach meinem Gusto machen kann.
Mir kommt es zugute, dass ich relativ wenig brauche und schon immer etwas anders gelebt habe als der sogenannte Mainstream. Relativ minimalistischer Lebensstil, wobei das schon ziemliches Understatememt ist, so wie es hier bei mir jetzt aussieht. Als ich jung war, wollte ich diese Leistungsgesellschaft nach Möglichkeit abschaffen. Ich hab mich als Aussteigerin gesehen, mal sehen mit wie wenig ich auskomme, eine Zeitlang im Zelt und auf der Strasse gelebt. Das war einerseits gleichzeitig mit den Drogen, aber zum Teil auch durchaus von mir so gewollt. Und per Autostop quer duch Europa getrampt, das ging vor 40 Jahren noch ziemlich gut. Nach dem Motto, kein Tier ist so dumm und arbeitet freiwillig mehr als zum Lebensunterhalt unbedingt notwendig.
Jedenfalls ist Arbeit für mich kein Selbstzweck, ich würde wohl niemals arbeiten, wenn ich das Geld nicht bräuchte - oder erst jetzt, nachdem ich auch den Spaß dran entdeckt habe. aber alles gemäßigt. Ich kann absolut nicht nachvollziehen, was einen da treffen kann, wenn man das Geld fürs Nichtstun bekommt. Ich kenne x Leute, die würden sich die Finger danach schlecken - natürlich nur, wenn das ohne Schikanen ginge. Aber wenn der Kontostand stimmt, dann gehe ich lieber wandern oder liege im Garten in der Sonne, als in irgend so eine blöde Firma zu latschen. Ich hab das gehasst. Pleite war ich trotzdem schon länger nicht mehr, aber ein bisschen was brauche ich natürlich, noch habe ich keinen Geldscheisser.
Und mir hat diese Arbeitsunlust immerhin eine Firma eingebracht, bei der ich das Büro neben dem Schlafzimmer habe und weil ich schon vorher keine Kundenkontakte wollte (ich arbeite nicht gerne mit anderen Menschen zusammen), hat sich da durch Corona kaum etwas verändert.
Was die Corona-Massnahmen angeht, seh ichs ein und halte mich dran. Ansonsten läuft das bei mir wohl auch schon unter Altersmilde, das ich heute mehr "mit spiele".
Querdenken war ich eher früher und auf etwas andere Art als die Gestalten heute, für die ich nicht bereit bin, Verständnis aufzubringen.
Ich will mich möglichst auch bald wieder frei bewegen können, und ich glaube, wie beim Saufen, nur halbherzig zu zu machen, ist nur Leidensverlängerung. Geht nur länger, wenn mans nicht richtig macht.
Was ich momentan am meisten vermisse, ist, dass wir nicht einfach kurz nach Österreich, Schweiz und Italien fahren können, bei mir relativ vor der Haustüre, und dass man bei Ausflügen momentan nicht einkehren kann. Und dass hier um uns herum in den umliegenden Urlaubsgebieten, die für uns Tagesausflugsgebiet wären, jetzt wegen Überfüllung die Hölle los ist. Kein entspanntes hinterher "jetzt gehen wir mal kurz essen", gibt ja eh nichts, und auch keine Parkplätze mehr, weil alle herdrängen. Aber bei genauer Betrachtung sind das Luxusprobleme für mich, jammern auf hohen Niveau. Wir haben selbst zu meinen Saufzeiten gerne und gut gekocht, da fehlt eigentlich nicht viel ausser der Möglichkeit, auch mal was Anderes zu sehen. Sobald es wieder wärmer wird und es im Garten losgeht (den ich zum Glück habe) wird sich das relativieren. Und wenn mal wieder Stadtfeste wären, würde mir das auch gefallen. Aber es bringt mich jetzt auch nicht um, wenn es nicht geht.
Momentan weiss ich sowieso nicht genau, obs eher das hier in letzter Zeit oft trübe Wetter (grade ist Schneesturm, das sieht wenigstens gut aus) oder die täglichen Katastrophenmeldungen sind, die mich ein bisschen gedämpft machen.
Es kommt auch wieder Sonne.
Gruß Susanne